Ehrenmord und Populismus
Muss ich mit einem Disclaimer beginnen, in dem ich unterstreiche, so genannte „Ehrenmorde“ zu verurteilen? Nein, ich muss nicht. Es gibt Selbstverständlichkeiten, die nicht betont werden müssen. Dazu gehört auch, dass manch Politiker versucht zu punkten, wenn etwas die Öffentlichkeit – oder auch nur die Presse – erregt. Da urteilt also ein Richter unter Anwendung gültigen Rechts. Und weil das manch einem offenbar nicht weit genug geht, wird nun die Abschiebung einer Familie diskutiert.
„Bosbach für Abschiebung nach Ehrenmord“ titelt die Netzeitung:
Politiker aus SPD und Union haben die Familie Sürücü nach dem Urteil im Ehrenmord- Prozess zum Verlassen des Landes aufgefordert. Unions-Fraktionsvize Bosbach forderte die Stadt Berlin zum Handeln auf.
Nun ist es vielleicht ärgerlich, wenn mutmaßliche Mitverschwörer – die Brüder des verurteilten Ayhan Sürücü – nicht belangt wurden, weil dem Gericht die Beweislage gegen sie zu dünn erschien. In diesem unseren Rechtsstaat gelten aber nunmal juristische Normen – und es gibt gute Gründe für solche Regelungen. Im Zweifel für den Angeklagten. Hier will das Gesetz Menschen schützen, die unschuldig einer Straftat verdächtigt werden. Dass davon manchmal auch Straftäter profitieren können, ist der Preis für diese Schutzmaßnahme. Sicher ärgerlich – alles andere würde aber in Lynchjustiz münden. Und das können nicht mal Stammtischpolitiker ernsthaft wollen.
Ein Politikerzitat aus dem oben verlinkten Artikel der Netzeitung:
Zuvor hatte auch Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) die türkische Familie des Täters zum Verlassen Deutschlands aufgefordert. «Wenn sie denn wirklich Ehre im Leib hätten, dann sollten sie die Konsequenz ziehen und die Bundesrepublik Deutschland verlassen», sagte er.
Falsch. Gleich zwei Mal. Wer Ehre im Leib hat, tötet keinen anderen Menschen. Und: Grundvoraussetzung für das Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik, ist es nicht, „Ehre im Leib“ zu haben.
Ein weiteres Zitat aus dem genannten Artikel:
Der Spitzenkandidat der Berliner CDU, Friedbert Pflüger (CDU), sagte in der «Bild»-Zeitung: «Wer Ehrenmorde bejaht oder sogar begeht, für den darf kein Platz in Deutschland sein.»
Ebenfalls falsch. Mord – ob nun aus obskuren Ehrvorstellungen oder anderen Motiven – abzulehnen, ist sicher Grundkonsens in unserer Gesellschaft. Aber: kann ich jemanden abschieben, wenn er andere Vorstellungen hat? Und was, wenn es sich dabei um einen Deutschen handelt? Anders gefragt: ist es nicht so, dass vor dem Gesetz alle Menschen gleich zu sein haben?
Solchen und anderen Fragen halten Stammtischparolen schlicht nicht stand. Ganz abgesehen davon, dass Probleme dadurch auch nicht gelöst werden, sondern vielmehr Ressentiments geschürt werden. Aber… interessiert das Politiker, wenn sie um die Gunst breiter Wählerschichten buhlen?
Zum Fall „Sürücü“ bzw. der Bewertung des Urteils selbst, lege ich Euch einen m. E. hervorragenden Beitrag von den „Bissigen Liberalen“ ans Herz: „Das Urteil im Fall Sürücü – Bauchschmerzen & Rechtsstaatsprinzip„.