Albert-Ludwigs
Universität Freiburg
Seminar
für Wissenschaftliche Politik
Lehrstuhl
Prof. Dr. W. Jäger
GK I: Einführung in die vergleichende Regierungslehre
Parteien und Wahlen in Frankreich und Deutschland
Leitung: Dr. Michael Eilfort
Wintersemester 1999/2000
Vorgelegt
von:
Jean-Christophe
Haimb
Thannhauserstr.
12
79114
Freiburg
Tel.:
0761 / 85947
eMail:
jc@haimb.de
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Der Begriff Extremismus
2.1 Sammelbezeichnung für antidemokratische Bestrebungen
2.2 Ideologische Merkmale des Rechtsextremismus
2.3 Ideologie und Handlungsvarianten
2.4 Nationalismus als Teil rechtsextremistischer Strömungen
2.5 "Neue Rechte" und "Nouvelle Droite"
3. Rechtsextremismus in Deutschland
3.1 Historischer Überblick
3.2 Die wichtigsten Parteien des rechtsextremistischen Spektrums in Kürze
3.2.1 Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands
3.2.2 Die Deutsche Volksunion - Liste D
3.2.3 Die Republikaner
3.3 Die Wählerbasis der rechtsextremistischen Parteien
3.4 Besonderheiten rechtsextremistischer Wahlerfolge
3.5 Erfolg und Misserfolg der rechtsextremistischen Parteien in Deutschland
4. Rechtsextremismus in Frankreich
4.1 Historischer Überblick 10
4.2 Die Programmatik des "Front National"
4.3 Die Wählerschaft des "Front National"
4.4 Der Erfolg des "Front National"
5. Schlussbetrachtung
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Keine zehn Jahre nach dem Tod des spanischen Diktators Franco wählen 11% der Franzosen eine rechtsextremistische Partei in das Europaparlament. Bis heute gehören solche Parteien zur Normalität in den Parlamenten liberaler Demokratien. Auch in Deutschland scheinen einige mündige Bürger vergessen zu haben, wohin das vertretene Gedankengut führen kann.
Wahlerfolge des rechtsextremistischen deutschen Parteienspektrums auf Landes- und Kommunalebene haben in den letzten 15 Jahren national und international immer wieder für Aufsehen gesorgt. Diesen Erfolgen folgten jedoch auch immer wieder Niederlagen - insbesondere bei Bundestagswahlen. Kaum wähnte man jedoch das Extrem wieder zur Bedeutungslosigkeit geschmolzen, zogen wieder rechtsextremistische Politiker in ein Parlament ein. Man fühlt sich an Phönix erinnert. Unsere französischen Nachbarn erleben zwar nicht dieses Wechselbad der Gefühle, sehen sich dafür jedoch mit konstanten Wahlerfolgen Le Pens von über 10% der abgegebenen Stimmen konfrontiert.
Zunächst sollen in dieser Arbeit einige Begriffe geklärt werden, um dann die nationalen Entwicklungen der rechtsextremistischen Parteien darzustellen. Nach dem historischen Überblick sollen sie und ihre Wählerschaft vorgestellt werden, bevor auf ihre Eigenheiten eingegangen werden wird. Letztliches Ziel wird die Beleuchtung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden der Bewegungen sein.
2. Der Begriff Extremismus
Die Extremismusforschung ist in Deutschland weiter entwickelt als in Frankreich1, weswegen in diesem Abschnitt das Gewicht auf den deutschen Definitionen liegt. Einleitend soll hierzu bemerkt werden:
Der Extremismus wird in Deutschland anders verstanden als in Frankreich. Wird mit dem Begriff hier die Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaates gemeint, so beschreibt er in Frankreich die Anwendung politischer Gewalt. In Frankreich ist Extremismus also ein parteisoziologisches Charakteristikum, in Deutschland ist es ein rechtlich-normativer Begriff. Der Großteil der Aufmerksamkeit richtet sich in Deutschland auf gewalttätige Aktionen der Extremisten, in Frankreich auf ihre Wahlerfolge. Dies liegt auch darin begründet, dass in Frankreich ausser den Wahlergebnissen kaum Daten vorliegen; es besteht kein Zwang zur Veröffentlichung von Zahlen, wohingegen in Deutschland diese2 vom Bundesamt für Verfassungsschutz systematisch gesammelt werden.3
Im Folgenden wird sich auf den Begriff des Rechtsextremismus konzentriert.
2.1 Sammelbezeichnung für antidemokratische Bestrebungen4
Um eine Begriffskonfusion mit anderen Bezeichnungen wie z.B. Neo-Faschismus", "Neo-Nazismus", "Rechte", "Rechtradikalismus" etc. zu vermeiden, wird der Begriff des Rechtsextremismus verwand. Er gilt als Sammelbezeichnung für antidemokratische Bestrebungen des rechten politischen Spektrums. Dies ist der gemeinsame Nenner aller so bezeichneten Organisationen und Strömungen, die durchaus verschiedene Formen zeigen können.
2.2 Ideologische Merkmale des Rechtsextremismus5
Als besonderes Ideologieelement des Rechtsextremismus - im Gegensatz zum Linksextremismus - ist die Einstellung gegenüber dem Gleichheitsprinzip zu betrachten. Unterschiede zwischen Individuen werden von Rechtsextremisten als Ungleichwertigkeit der Menschen abgeleitet. Diese Ideologie der Ungleichheit artikuliert sich besonders in der Inanspruchnahme von nicht näher begründeten Exklusivitätsrechten der eigenen ethnischen Gruppe gegenüber anderen, gekoppelt mit deren Diskriminierung: Nationalismus bis Rassismus.
In diesem Kontext wird im rechtsextremistischen Milieu oft von einer gewollten Einheit in einer "Gemeinschaft" oder gar "Volksgemeinschaft" gesprochen, der sich die Individuen unterordnen sollen. Der demokratische Verfassungsstaat wird als Feind verstanden, da der hier stattfindende Meinungsstreit die Homogenität der "Gemeinschaft" behindert. Daraus folgt die Affinität für Autoritarismus: Der Staat steht in diesem Politikverständnis über der Gesellschaft. Eine starke Führung soll die Gesellschaft einen und sieht den Parlamentarismus als verachtenswertes Instrument, welches eine heterogene - und somit schlechte - Gesellschaft stärkt.
2.3 Ideologie- und Handlungsvarianten6
Überbewertung der ethnischen Herkunft, Ideologie der Ungleichheit, Antipluralismus und Autoritarismus des rechtsextremistischen Lagers findet sich in unterschiedlichen Graden. So ist beispielsweise ein Nationalist nicht gleich auch ein Rassist. So ist es auch nicht erstaunlich dass Organisationen, die die Überlegenheit einer Rasse propagieren, international eher kooperieren als solche, die Ihre Nation hervorheben.
Während neo-nazistische Gruppen nach einem "Führerstaat" mit rassischer Prägung streben, treten rechtsextremistische Parteien stärker für einen autoritären Nationalstaat mit Einschränkungen der Gewaltenteilung, des Pluralismus und des Parlamentarismus zugunsten einer ethnischen und politischen Homogenisierung der Gesellschaft ein. Einzelne Strömungen unterscheiden sich dabei in ihrer Ausrichtung auf "Nation" oder "Staat" sowie in ihrem Eintreten für freie Marktwirtschaft, sozialpolitischen Protektionismus oder verschiedene religiöse Weltbilder.
Auch in der Handlung gibt es Unterschiede. Während die einen juristische Grenzen überschreiten, halten andere die gesellschaftlichen "Spielregeln" formal ein. Die Ablehnung des geltenden politischen Systems wird entweder explizit bekundet oder rhetorisch getarnt.
2.4 Nationalismus als Teil rechtextremistischer Strömungen7
Der Nationalismus ist ein relativ junges Phänomen, das in seiner Entstehungsgeschichte nicht von der Französischen Revolution zu trennen ist.
Er kann nicht durchgängig negativ bewertet werden:
"Den Nationalismus kennzeichnet [...] eine Doppelstruktur: Er kann unterdrückten Völkern bzw. Volksgruppen geistig-moralische Stärke, Selbstbewußtsein und ein Zusammengehörigkeitsgefühl vermitteln, aber auch als Herrschaftsinstrument, etwa zur Massenmobilisierung im Krieg oder zur Legitimation der Eroberung und Besetzung fremder Länder, benutzt werden."8
So wird auch zwischen integrierenden und segregierenden Nationalismen unterschieden. Letztere sind Merkmal rechtsextremistischer Bewegungen.
2.5 "Neue Rechte" und "Nouvelle Droite"9
Namensgeberin ist nach Gessenharter die "Nouvelle Droite", "eine intellektualisierte Variante von Ideologien, [...] die strategisch darauf abzielen, die 'kulturelle Hegemonie' als Vorstufe der politischen Herrschaftsübernahme zu erreichen."10 Allerdings gibt es in der politikwissenschaftlichen Diskussion in Deutschland - im Gegensatz zu Frankreich - keine einheitliche Definition der "Neuen Rechten".11
3. Rechtsextremismus in Deutschland
3.1 Historischer Überblick12
Zwar gab es mit der "Deutsche Konservative Partei - Deutsche Reichspartei" (DKP-DRP) und der später verbotenen "Sozialistischen Reichspartei" (SRP) auch zu Beginn der Bundesrepublik rechtsextremistische Parteien mit teilweise beachtlichen Wahlerfolgen13, mit dem Verbot der SRP verschwand jedoch vorerst das politische Gewicht dieser Organisationen.
In der zweiten Hälfte der sechziger Jahre zeigte dann die aus der DRP hervorgegangene "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) spektakuläre Wahlerfolge14 und scheiterte bei den Bundestagswahlen 1969 nur recht knapp (4,3%) an der Fünf-Prozent-Hürde. Die Befürchtung, die NPD werde sich auf lange Sicht in den Parlamenten etablieren, bewahrheitete sich nicht: Nach dieser Niederlage brach die Erfolgskurve ein und wurde die Partei von ihren Mitgliedern verlassen. Ein Großteil dieser Mitglieder wanderte zur 1971 gegründeten "Deutschen Volksunion" (DVU). Beide Organisationen rivalisierten lange Zeit um dann ab 1986 zu kooperieren, was 1987 mit einem Abgeordneten im Bremer Landesparlament "belohnt" wurde.
Neue Konkurrenz war 1983 mit den Republikanern (REP) entstanden. Diese zogen zwar 1989 mit 7,5% der Stimmen in den Berliner Senat ein, verfehlten im Herbst des gleichen Jahres in ihrer "Heimat" Bayern mit 4,9% den Einzug in das Landesparlament nur äußerst knapp. Im folgenden Jahr waren diese Erfolge nicht reproduzierbar.
Bei den ersten Bundestagswahlen nach der Wiedervereinigung hatten die rechtsextremistischen Parteien nicht den erhofften Erfolg. Die Republikaner erreichten 2,1% der Wählerstimmen, die NPD sogar nur 0,3%.
"Wie durch eine Ironie der Geschichte war es gerade die sich am Horizont abzeichnende Vereinigung der beiden deutschen Staaten, die den Plänen von NPD und REP den Boden entzog."15
Bei den folgenden Wahlen bleiben diese Parteien auf einem relativ hohen Niveau, der Ergebnisse sind jedoch starken Schwankungen unterlegen: die Republikaner erzielen 1992 Wahlerfolge in Baden-Württemberg (10,9%) und Berlin (8,3%), die DVU zieht in die Länderparlamente von Bremen und Schleswig-Holstein (6,9%) ein, 1998 erreicht sie bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt das spektakuläre Ergebnis von 12,9% der Stimmen16.
3.2 Die wichtigsten Parteien des rechtsextremistischen Spektrums in Kürze
3.2.1 Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands
Die NPD entsteht aus der DRP am 28. November 1964 und ist bis 1969 in fast allen Landtagen vertreten (außer Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Saarland). Als sie 1969 die Bundestagswahlen verfehlt, beginnt ihr Niedergang: Zersplitterung und Mitgliederschwund. Gewisse Wahlerfolge können ab 1980 - durch Bündnis mit der DVU wieder verzeichnet werden.
3.2.2 Die Deutsche Volksunion - Liste D
Die DVU entsteht als "Aktionsgemeinschaft" am 18. Januar 197117 als Auffangbecken national-konservativer Strömungen sowie von Mitgliedern der NPD. Im März 1987 wird daraus mit der Gründung der "Deutschen Volksunion - Liste D" eine politisch aktive Partei, die 1991/92 und 1998 insgesamt Einzug in drei Länderparlamente erhält. Die DVU weist schwache Parteistrukturen auf und wird gern als "Privatpartei" des Münchner Verlegers Gerhard Frey bezeichnet.
3.2.3 Die Republikaner
In ihrem Selbstverständnis als Abspaltung der Christlich-Sozialen Union (CSU) im November 1983 gegründet, liegen die Republikaner bei Wahlen häufig auf relativ hohem Niveau. Sie gelten als die rechtsextremistische Kraft mit der größten Chance auf Etablierung18. Wichtige Wahlerfolge hatten sie bei den Berliner Senatswahlen 1989 sowie den Europawahlen des gleichen Jahres. 1992 ziehen sie in den Baden-Württembergischen Landtag ein, in dem sie heute noch vertreten sind. Seit 1998 kooperieren die Republikaner mit der DVU.
3.3 Die Wählerbasis der rechtsextremistischen Parteien
Falter19 kommt in seiner Studie zu folgenden Ergebnissen20:
rechtsextremistische Parteien werden eher von Männern als Frauen gewählt bzw. unterstützt
besonders im Osten favorisieren Jungwähler (bis 24) diese Parteien, im Westen sind es eher Personen ab 45
Die Wahrscheinlichkeit einer Rechtswahl schwindet mit höherer Bildung, beruflicher Stellung oder Sozialstatus sowie der Sicherheit des Arbeitsplatzes
Kirchen- oder Gewerkschaftsbindung verringern die Tendenz rechtsextremistisch zu wählen
Themen wie "Ausländer und Asyl" sowie "Politik- und Parteienverdrossenheit" werden von Rechtswählern häufiger als wichtigste Problemfelder empfunden
Neben der Kernklientel der rechtsextremistischen Parteien - also den Personen mit ebensolchem Weltbild - sind Protestwähler häufige Stimmengeber.
3.4 Besonderheiten rechtsextremistischer Wahlerfolge
Abb. 1: Die Wahlergebnisse rechtsextremistischer Parteien bei den Bundestagswahlen 1949 bis 1998.
1949 bis 1987: Alte Bundesländer, ab 1990 Gesamtdeutschland
Nach Backes/Jesse in Falter: Wer wählt rechts?, 1994, S. 14, Daten für 1994 und 1998 vom Bundesamt für Statistik
Bei Bundestagswahlen waren die rechtsextremistischen Parteien in der Bundesrepublik nie sonderlich erfolgreich. Sprünge der Stimmenanteile über 3% stehen in zeitlicher Koinzidenz mit politischen Krisen, was sich besonders am Einbruch der rechtsextremistischen Wahlerfolge nach 1969 zeigt. 21
Die teilweise besseren Ergebnisse in Landtags-, Kommunal- und Europawahlen lassen sich insbesondere durch zwei Faktoren erklären:22
Diese Wahlen werden vom Wähler häufig als "Nebenwahlen" empfunden - die Stimmabgabe bekommt hier eher eine expressive denn instrumentelle Funktion ("Protestwähler").
Außerdem zeigen solche Wahlen meist deutlich niedrigere Wahlbeteiligungen, die kleineren Parteien höhere Stimmanteile bescheren. Extremistischen Parteien von rechts und links gelingt es bei diesen Wahlen amehesten, ihre Sympathisanten zu mobilisieren.
3.5 Erfolg und Misserfolg der rechtsextremistischen Parteien in Deutschland
Im internationalen Vergleich liegt die Bundesrepublik - insbesondere bei Wahlen zum Nationalparlament - bei den Wahlerfolgen der rechtsextremistischen Parteien an der unteren Grenze23. Empirische Studien zeigen, dass in Deutschland durchaus ähnlich hohe Wahlerfolge der rechtsextremistischen Parteien denkbar wären, wie sie in Frankreich vorzufinden sind24. Aus verschiedenen Gründen ist dies zur Zeit nicht der Fall25:
es besteht eine lagerinterne Schwäche des Rechtsextremismus, keine Partei dieses Spektrums hat eine lagerinterne Hegemonie erreichen können,
in Deutschland besteht ein breiter gesellschaftlicher Konsens gegen rechtsextremistische Bestrebungen,
die großen Volksparteien (SPD, CDU/CSU) polarisieren die Wählerschaft weswegen
ein großer Teil rechtsextremistisch eingestellter Personen die Volksparteien wählt. Die Tendenz rechtsextremistisch zu Wählen steigt bei diesem Personenkreis hauptsächlich in Krisenmomenten bzw. Phasen des politischen Unmutes.
4. Rechtsextremismus in Frankreich
4.1 Historischer Überblick26
Das rechtsextremistische Lager Frankreichs erlebte in den 60er-Jahren - um die Algerien-Krise - einen ersten Aufschwung mit dem Aufkommen einiger Organisationen und einem beachtlichen Erfolg bei den Präsidentschaftswahlen 196527. Allerdings trat sie weder in Parteiform auf, noch blieb ihr eine breite gesellschaftliche Akzeptanz erhalten. Die 68er Revolte war für das rechtsextremistische Lager von entscheidender Bedeutung: es stand vor dem Dilemma entweder die Linke zu bekämpfen und so das Regime und de Gaulle zu unterstützen (Tixier-Vignacour)oder sich mit dem linken Erzfeind zu verbünden und die Regierung zu bekämpfen (Le Pen). So kam es zu einer Teilung des Lagers, die V. Republik konsolidierte sich.
Das rechtsextremistische Spektrum entwickelte sich auf zwei Ebenen weiter: einer intellektuellen und einer parteipolitischen. Es formierten sich die intellektuellen Gruppen der "Nouvelle Droite", die ihre Ideen in den Medien, dem Bildungswesen und der Wirtschaftselite zu verbreiten suchten. Diese "metapolitische" Strategie wirkte nicht nur auf das neu entstehende rechtsextremistische Lager, sondern auch zunehmend auf die großen Rechtsparteien UDF und RPR.
Parteipolitisch entstand zunächst der "Ordre Nouveau" aus dem 1972 der "Front National" (FN) mit Jean-Marie Le Pen als Präsidenten hervorging. Der "Ordre Nouveau" wurde 1973 verboten, was eine weitere Neu-Orientierung (Konzentration auf populäre Themen) des Lagers erforderlich machte, die allerdings zunächst keine Wahlerfolge erbrachte.
Erst als der FN ideologischen Ballast abwarf, sich mehr auf die gesellschaftliche Mitte und zum katholischen Fundamentalismus zubewegte, kam es 1983 und bei den Europawahlen 1984 zum Durchbruch, gefolgt von einer stetigen Konsolidierung der Wahlergebnisse28 von bis zu 15%29 der Stimmen. Ein gewisser Einbruch kam erst 1999 nach der Spaltung des FN in FN und "Mouvement National" (MN, heute "Mouvement National Républicain", MNR): Bei den Europawahlen 1999 konnten beide Parteien "nur" noch 9% der Stimmen auf sich vereinen30, also in etwa das Niveau von Mitte der 80er-Jahre.
4.2 Die Programmatik des "Front National"
Minkenberg formuliert das Erfolgsrezept des FN wie folgt: "Ethnopluralismus plus Populismus plus Protektionismus, plus Fundamentalismus"31
Auch wenn der FN sich als "hors du système" (außerhalb des Systems) einstuft und vereinzelt Forderungen nach einer VI. Republik auftauchen, ist die Partei keine anti-demokratische Partei wie rechtsextremistische Parteien üblicherweise definiert werden. Sie strebt eine Beschneidung der Rolle der Parteien - eine Stärkung des präsidentiellen Systems - an, ohne die demokratischen Regeln durch ein autoritäres Führungssystem ersetzen zu wollen.32
Programmatisch greift der FN Themen der "Nouvelle Droite" in popularisierter Form auf33 und setzt sich als "Anwalt" der Arbeiter und Arbeitslosen in Szene. Das Hauptthema ist die Einwanderung ("La France aux Français") und die national gewichtete Einstellung zu Europa: man will ein "französisches Frankreich in einem europäischen Europa". Schlüsselbegriff ist hierbei der "mondialisme", mit dem gegen die Einwanderung, eine europäische Integration, den Freihandel und die USA argumentiert wird.
4.3 Die Wählerschaft des "Front National"34
Die frühen Wahlerfolge des FN beruhen zu einem großen Teil auf einem Protestwahlverhalten gegen die anderen Parteien. Sehr schnell entwickelte sich jedoch eine Stammwählerschaft. Zunächst in Gruppen des blockierten sozialen Aufstiegs - Arbeiter, jüngere Wähler und solche mit geringem Bildungsabschluss - und später auch in höheren sozialen Schichten, wenngleich der Anteil an Arbeitslosen recht hoch bleibt. Diese Konsolidierung der Wählerbasis ist deutliches Indiz dafür, dass Ideologie bestimmender Faktor für die Wahlentscheidung "FN" ist.
Nach der Spaltung der Partei entschieden sich vor allem Arbeiter, jüngere Wähler und solche mit geringem Bildungsabschluss für Le Pens FN, die MN des Grande-École-Abgängers Mégret erhielt Zuspruch der Angestellten und höheren Einkommensgruppen.
Einen festen Anteil an der Wählerschaft des FN haben auch rechtsextremistische Personen aus nationalistischen und rassistischen Kreisen Frankreichs35.
4.4 Der Erfolg des "Front national"36
"Ins Spiel" kam der FN als die Kommunisten 1981 eine "Anti-Einwanderungskampagne" gegen die immigrationsfreundliche sozialistische Regierung starteten. Ungewollt stärkte dies die rechtsextremistische Partei, zumal die konservative Opposition keine deutliche Position einnahm.
Im Gegensatz zu Deutschland wurde eine Stigmatisierung des FN und seiner Wähler gerade durch das konservative Spektrum später vermieden. Offiziell grenzten sich RPR und UDF zwar vom FN ab, auf regionaler Ebene bestanden jedoch Kooperationen. Im Zuge der Zeit wird aus der Tolerierung eine Annäherung, wenn auch nicht organisatorisch, so doch ideologisch und programmatisch37.
Auch folgte die Zunahme ethnozentrischer Einstellungen dem Aufstieg der Partei (ebenfalls im Gegensatz zu Deutschland): Während die Themen des FN anfänglich nur für dessen eigene Wähler wirklich relevant waren, sind sie es heute für einen deutlich größeren Teil der Franzosen.
5. Schlussbetrachtung
In der folgenden Tabelle sollen zunächst Ergebnisse beider Betrachtungen gegenübergestellt werden um Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu verdeutlichen:
|
Deutschland |
Frankreich |
Historische Entwicklung der Wahlerfolge |
Unterliegt starken Schwankungen, Spitzen 1949 und Mitte der 60er-Jahre, verhältnismäßig hohes Niveau seit Ende der 80er-Jahre (ebenfalls schwankend) |
Zunächst schwach, hohes Niveau ab Anfang der 80er-Jahre, kontinuierlich steigend, leichter Einbruch 1999 |
Wichtigste Parteien und Bündnisse |
NPD, DVU, REP - NPD bis 1969 stark; DVU (1971) ab 1987 als Partei aktiv und unterschiedlich erfolgreich; REP (1983), Durchbruch 1989, unterschiedlich erfolgreich, am ehesten Aussicht auf Etablierung. Keiner gelingt Übernahme einer Führungsrolle. Bündnis DVU/REP seit 1998 |
FN (1972), Durchbruch 1983, seitdem kontinuierlich und wachsend Erfolgreich. Abspaltung MNR 1999, damit relativer Einbruch sowie Aufteilung der Stimmen |
Wählerschaft |
Protestwähler, mehr Männer, eher niedere Bildung und berufliche sowie soziale Stellung, Arbeitslose |
Stammwähler, mehr Männer, zunehmend auch mittlere und hohe Schichten |
Relevante Themen |
Einwanderung, auch "Law and order" |
Einwanderung und "Law and order" |
Öffentliche Meinung |
Unbestimmt |
Polarisierend38 |
Reaktion der konservativen Parteien |
Eher abgrenzend |
Eher annähernd |
Wie in Frankreich, spielt das Verhältnis der großen - insbesondere der konservativen - Parteien Deutschlands zu den rechtseextremistischen Parteien eine wichtige Rolle bei deren Entwicklung. Allerdings gibt es hier die seit 1949 wirksame Funktion der "wehrhaften Demokratie" gegenüber extremistischen Bestrebungen39, sie werden also eher marginalisiert als bei unserem Nachbarn. Allerdings besetzen CDU/CSU auch einen Teil der Positionen, die der FN in Frankreich belegt40. Haben in Frankreich Teile der öffentliche Meinung Positionen des FN übernommen, ist dies in Deutschland eher nicht der Fall - auch sind die deutschen Parteien stabiler als die französischen, was die Extremisten eher bremst. Eine nicht unbedeutende Rolle mag auch der Persönlichkeit der politischen Führer zugewiesen werden41.
Last not least muss auch unterstrichen werden, dass der FN faktisch den Alleinvertretungsanspruch der rechtsextremistisch wählenden Bevölkerung inne hat, während sich NPD, DVU und REP um die Wählergunst konkurrierend gegenüber stehen (daran hat auch das 1998er Bündnis zwischen DVU und REP nicht viel geändert). Das Deutsche Wahlrecht, insbesondere die 5%-Hürde, behindert eine mögliche Kooperation auf parlamentarischer Ebene zudem.
In beiden Staaten hat sich seit der Mitte der 80er-Jahre ein gewisser Rechtsruck vollzogen, wobei die Polarisierung zwischen Links und Rechts in Frankreich traditionell stärker ausgeprägt ist, diese sich in Deutschland erst ankündigt. Der Anteil der Bevölkerung mit rechtsextremistischem Weltbild dürfte in beiden Ländern in etwa gleich hoch sein, auch sind soziologischen Unterschiede in dieser Kernwählerschaft zwar vorhanden, aber nicht so gravierend. Daher müssen andere Faktoren - wie die oben genannten - für die unterschiedlichen Wahlerfolge des rechtsextremistischen Lagers in Deutschland und Frankreich verantwortlich gemacht werden.
Aufgrund der angesprochenen Polarisierung konnte der FN eine Stammwählerschaft aufbauen, die den deutschen Parteien des rechtsextremistischen Spektrums fehlt. Neben der unterschiedlichen Bedeutungszumessung zu den Wahlen, ist hier die starke Gruppe der Protestwähler als Ursache für die starken Schwankungen der entsprechenden Wahlergebnisse zu sehen.
Freiburg,
den 16. Mai 2000
Jean-Christophe
Haimb
(Erstellung dieser HTML-Version: 10.12.2000)
6. Literaturverzeichnis
[Die Signaturen in eckigen Klammern sind solche Freiburger Bibliotheken]Butterwegge, C.: Rechtsextremismus, Rassismus und Gewalt: Erklärungsmodelle in der Diskussion, Darmstadt, 1996, Wissenschaftliche Buchgesellschaft [UB: GE 96/10826]
Canu, I.: Der Schutz der Demokratie in Deutschland und Frankreich, Opladen, 1996, Leske + Budrich [UB: SW 98/1165]
Falter, J. W.: Wer wählt rechts?: Die Wähler und Anhänger rechtsextremistischer Parteien im vereinigten Deutschland, München, 1994, Beck [UB: GE 94/7143]
Gessenharter, W., Fröchling, H. (Hrsg.): Rechtsextremismus und Neue Rechte in Deutschland: Neuvermessung eines politisch-ideologischen Raumes?, Opladen, 1998, Leske + Budrich [UB: GE 98/8855]
Herten, P.: Le nationalisme radical en France, Paris, 1994, Magrie [UB: GE 95/5796]
Minkenberg, M.: Die neue radikale Rechte im Vergleich: USA, Frankreich, Deutschland, Opladen, 1998, Westdeutscher Verlag [UB: GE 98/10915]
Pfahl-Traughber, A.: Rechtsextremismus in der Bundesrepublik, München, 1999, Beck [UB: GE 99/2140]
Ruß, S., et al (Hrsg.): Lehrtexte Politik: Parteien in Frankreich, Opladen 2000, Leske + Budrich
Internet:
Informationsangebote der Landeswahlleiter im WWW:
http://www.statistik-bund.de/wahlen/lwls.htm
Liberation: Mutinerie au FN:
1 Canu (1998), S. 96
2 Wahlergebnisse, Mitgliederzahlen, Publizistikzahlen, Straftaten mit extremistischen Motiven etc.
3 Canu (1998), S. 98
4 Pfahl-Traughber (1999), S. 11ff.
5 Pfahl-Traughber (1999), S. 14ff.
6 Pfahl-Traughber (1999), S. 17ff.
7 Butterwegge (1996), S. 135ff.
8 Butterwegge (1996), S. 137
9 Gessenharter (1998) in Gessenharter/Fröchling, S. 33f.
10 Gessenharter (1998) in Gessenharter/Fröchling, S. 34
11 Pfahl-Traughber (1998) in Gessenharter/Fröchling, S. 78
12 Backes/Moreau (1993), S. 5ff., Zahlen nach 1993 von den Internet-Seiten der statistischen Landesämter
13 Bei Landtagswahlen erreichte die SRP 1959-1952 bis zu 11% der Stimmen (Niedersachsen); Backes/Moreau (1993), S. 7
14 Bei den Landtagswahlen erreichte die NPD 1966 in Bayern (7,4%) und Hessen (7,9%); 1967 in Rheinland-Pfalz (6,9%), Schleswig-Holstein (5,8%), Niedersachsen (7,0%) und Bremen (8,8%); Baden-Württemberg (9,8%); Backes/Moreau (1993), S. 10
15 Backes/Moreau (1993), S. 16
16 Bei der Bundestagswahl 1998 erreicht sie hier jedoch nur noch ein Ergebnis von 3,2%
17 100. Jahrestag der Gründung des Deutschen Reiches
18 Backes/Moreau (1993), S. 54
19 Es gibt eine jüngere Studie von Niedermayer/Stöss aus dem Jahr 1998, die bei der Erstellung dieser Arbeit nicht vorlag. Sie kommt jedoch zu ähnlichen Ergebnissen; Pfahl-Traughber (1999), S. 91
20 Falter (1994), S. 154ff.
21 Falter (1994), S. 13ff.
22 Falter (1994), S. 19
23 Falter (1994), S. 17
24 Pfahl-Traughber (1999), S. 96
25 Pfahl-Traughber (1999), S. 96 und S. 111f.
26 Minkenberg (2000) in: Ruß (Hrsg.), S. 268ff.
27 Unter der Führung von Jean-Louis Tixier-Vignacour erreicht die radikale Rechte über eine Million Stimmen.
28 Hatte der FN bis hier nie mehr als 0,5% der Stimmen erreicht, gelangen nun folgende Ergebnisse: Nationalversammlung 1986: 9,8%; 1988: 9,7%; 1993: 12,4%; 1997: 15%; Regionalwahlen: 1985: 9,7%; 1992: 11,8%; 1998: 15%; Europawahlen: 1984: 11%; 1989: 11,7%; 1994: 10,4%; 1999: 5,7%
29 Bei den Präsidentschaftswahlen 1995 und den Wahlen zur Nationalversammlung 1997 sowie bei den Regionalwahlen 1998
30 FN: 5,7%; MN: 3,3%
31 Minkenberg (2000) in: Ruß (Hrsg.), S. 272
32 Minkenberg (2000) in: Ruß (Hrsg.), S. 273
33 Beispielsweise die Diagnose einer kulturellen und nationalen Krise, der Antiegalitarismus und der Ethnopluralismus, Minkenberg (2000) in: Ruß (Hrsg.), S. 270
34 Minkenberg (2000) in: Ruß (Hrsg.), S. 279ff.
35 Herten (1994), S. 202f.: Im Schluss seiner Arbeit über den radikalen Nationalismus in Frankreich (er stellt darin die wichtigsten rechtsextremistischen Gruppierungen vor) attestiert der Autor dem FN Auffangbecken aller rechtsextremistischen Tendenzen zu sein, auch neo-nazistische Gruppen klar anzusprechen: "On pourrait dire concrètement du Front National", quil est le grand rassembleur des forces nationales de lextrème droite. Regroupant ainsi en son sein, nostalgiques de Pétain, dHitler, de Franco, de Mussolini, et jen passe. En fait, tous ceux [...] nhésitent pas à demander clairement à leurs militants de voter pour celui [FN] quils voient comme le grand ordonnateur dun renouveau national fascisant."
36 Minkenberg (2000) in: Ruß (Hrsg.), S. 283f.
37 Verschärfung der Einbürgerungspolitik und härtere Gangart bei der inneren Sicherheit (lois Pasqua), Beschneidung von Sozial- und Bürgerrechten von Ausländern sowie Reform des Staatsbürgerrechtes. Teile dieser Gesetze mussten zwar zurückgenommen werden (Verfassungswidrigkeit), die Aufwertung der Positionen des FN hatte damit jedoch schon statt gefunden.
38 1997 sehen 69% der Franzosen Le Pen als Gefahr für die Demokratie, 25% nicht: Minkenberg (2000) in Ruß (Hrsg.), S. 286
39 Minkenberg (1998), S. 357
40 Minkenberg (2000) in: Ruß (Hrsg.), S. 287
41
Mit dem medienerfahrenen Schönhuber hatten die Republikaner als
einzige Deutsche Partei dieses Spektrums eine bei breiteren Teilen
der Wählerschaft charismatisch wirkende Persönlichkeit an
der Spitze. Le Pen hat eine ebensolche Wirkung, zumal er mit seiner
Sprache auch näher am Volk ist, als die meisten anderen
französischen Politiker - Absolventen der Grandes Écoles.
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