Albert-Ludwigs Universität Freiburg
Seminar für Wissenschaftliche Politik
Lehrstuhl Prof. Dr. Jürgen Rüland
Grundkurs II: Einführung in die internationale
Politik
Lateinamerika an der Schwelle zum 21. Jahrhundert:
Zwischen Regionalisierung und Globalisierung
Leitung: Dr. Ingrid Wehr
Sommersemester 1999
Integration im Cono Sur
Der Mercosur und die Global Player
Vorgelegt von:
Jean-Christophe Haimb
Inhaltsverzeichnis:
2.1.1 Von der Kooperation zur Integration
2.1.2 Ökonomische und politische Integration
2.1.3 Erfolgsaussichten regionaler Integration
3. Der Mercado Común del Sur - Mercosur
3.1 Die Entstehung des Mercosur
3.2 Institutionelle Struktur des Mercosur
3.3 Bestandsaufnahme des bis 1998 Erreichten
4.1 Mercosur - ein Opfer der Global player?
4.2 Der Mercosur zwischen den Blöcken
Der Großmachttraum des paraguayanischen Präsidenten Solano Lopes fand am 20. Juni 1870 sein blutiges Ende: Die ausnahmsweise vereinten Truppen aus Argentinien, Brasilien und Uruguay hatten Lateinamerikas blutigsten Krieg gewonnen. Über ein Jahrhundert später erschaffen die damaligen Kriegsparteien unter der Führung der beiden großen Rivalen der Region - Argentinien und Brasilien - den Mercosur.1
Die Annäherung der Nachbarländer des Cono Sur ist jedoch nicht in erster Linie eine historische Versöhnung. Luiz Augusto Estrella Faria sieht darin das Entfalten einer neuen politischen und wirtschaftlichen Dynamik am Ende dieses Jahrhunderts - charakterisiert durch den Fall der Berliner Mauer und die Globalisierung.2
Es gab und gibt in Lateinamerika viele verschiedene Integrationsprozesse, so sollen hier die Fragen beantwortet werden, wie es zu dem neuen Projekt kam, was es auszeichnet und was dadurch erreicht wurde. Zudem interessiert, wie sich der Mercosur in der durch den Fall des sozialistischen Systems veränderten Weltordnung des ausgehenden 20. Jahrhunderts einordnet.
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Politische Integration setzt politische Kooperation voraus3, also ganz allgemein die Zusammenarbeit von Organisationen oder Individuen in beliebigen politischen, kulturellen oder wirtschaftlichen Bereichen. Diese Kooperation kann verschiedene Formen haben, sie ist ein Ausdruck der politischen Interdependenz und wird im Regelfall aus Kosten-Nutzen-Rechnungen heraus initiiert, deren Ergebnis nicht zwingend vorhersehbar sein muß, sondern auch oft nur vermutet wird: Man will für alle Fälle erst einmal dabei sein4. Die soziologische Auffassung, daß Kooperation Menschen zusammenbringt, um gemeinsame Ziele zu erreichen oder Interessen zu verfolgen, hat auch in der Politik Gültigkeit.5
Nehmen zwischenstaatliche Kooperationsprozesse bis zu einem Punkt zu, an dem sie irreversibel werden und nationale Souveränitätseinschränkungen festzustellen sind, spricht man von Integration. Sie ist ein Prozeß, der über mehrere Stufen zu einer Föderation von Staaten führt.6
Man unterscheidet zwischen der ökonomischen und der politischen Integration, die beide graduelle Prozesse sind. Die Phasen der ökonomischen Integration sind leichter zu trennen:
Als ersten Integrationsschritt sieht man hier die Schaffung von Freihandelszonen, in denen Handelshemmnisse wie Zölle innerhalb der Kooperationsgemeinschaft abgeschafft werden. Da vermieden werden soll, daß Güter aus Drittländern über den beteiligten Staat günstiger eingeführt werden, der die niedrigsten Zollschranken hat, werden local-content-Regelungen (Ursprungsbestimmungen) eingeführt, die jedoch den innerzonalen Freihandel hemmen. Solche Regelungen sind beispielsweise ein Kernelement der NAFTA.
Die nächste Stufe ist die Zollunion. Hier geht man einen Schritt weiter und gleicht auch die Außenzölle aneinander an, räumt somit die Hemmnisse aus, die durch die Urspungsbestimmungen entstanden sind.
Als nächster Schritt gilt es, Normen, Standards und wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen zu harmonisieren, was der Bildung eines gemeinsamen Marktes oder einer Wirtschaftsunion entspricht. Diese dritte Integrationsstufe wurde bisher nur von den Staaten der EU verwirklicht, die Länder des Mercosur beabsichtigen sie ebenfalls zu erreichen.
Als letzte Stufe der ökonomischen Integration betrachtet man die Entstehung einer Währungsunion. Durch die Schaffung einer gemeinsamen Währungseinheit und -politik werden Transaktionskosten gesenkt und die nationalen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen angeglichen.7
Da die Menge der beteiligten Elemente bei der politischen Betrachtung und somit auch die Anzahl der möglichen Interaktionsmuster größer ist, sind politische Integrationsschritte schwerer abzugrenzen.
Vereinfacht - die Realität regionaler Gruppierungen sieht in der Regel komplizierter aus - kann man vier Stufen betrachten: zuerst die partielle Kooperation auf Regierungsebene gefolgt von der transnationalen Ergänzung solcher Kooperationen als zweitem Schritt. Es folgt die Errichtung eines Entscheidungssystems, auf welches den Nationalstaaten der Zugriff relativ entzogen wird. In der vierten Phase wird dieses System mit rechtlich und politisch supranationalen Merkmalen ausgestattet: aus Nationalstaaten wird eine Föderation.
Differenzierter kann man die Phasen wie folgt unterscheiden:
Konsultationen
ohne Entscheidungsbefugnis, intergouvernementale Entscheidungen nach dem Einstimmigkeitsprinzip,
intergouvernementale Entscheidungen nach einer gewichteten Qualifizierungsformel
(...), Mehrheitsentscheidungen, die für alle Beteiligten bindend sind,
supranationale, von den Kompetenzüberwachungen der Nationalstaaten völlig
losgelöste Entscheidungsorgane mit eigener Kompetenz, zusätzlich:
Einführung einer suprastaatlichen Gerichtsbarkeit, die die nationale Rechtsprechung
ganz oder teilweise bindet."8
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Vier klassische Theorieansätze zur Integration lassen sich festhalten:
Funktionalismus (David Mitrany). Zwischenstaatliche Zusammenschlüsse werden für erfolgreich gehalten, wenn sie sich auf die Regelung technisch-unpolitischer Bereiche beschränken, Integration gilt als erfolgversprechend, wenn sie auf gesellschaftlich-privaten Transaktionen basiert, also nicht von oben verordnet wird. Die Behinderung der Zusammenarbeit durch nationalstaatliche Machtpolitik soll dadurch vermieden werden, daß explizit politische Zielsetzungen ausgeschlossen sind.
Föderalismus. Auch hier wird die Gefahr der nationalstaatlichen Machtpolitik gesehen, jedoch sollen die national-egoistischen Bestrebungen dadurch vermieden werden, daß die Integration bewußt und von den beteiligten Eliten betrieben wird. Die Souveränität wird einem neu zu gründenden Akteur übertragen, einer föderalen Macht, die das gemeinsame Interesse auch mit Zwang durchsetzen kann.
Neofunktionalismus (Ernest Haas), der Versuch eine Synthese der beiden vorangegangenen zu schaffen. Hier wird davon ausgegangen, daß Integrationsprozesse eine Eigendynamik entwickeln: Ein solcher in einem Bereich begonnener Prozeß führe automatisch zur Integration weiterer Bereiche.
Transaktionsanalyse (Karl W. Deutsch). Als Voraussetzung für die Bildung internationaler Gemeinschaften wird das Vorhandensein von Kommunikationsstrukturen gesehen. Die Zunahme von Informations- und Warenaustausch bewirkt einen sozial-psychologischen Lernprozeß bei den Eliten und der Bevölkerung, der eine Distanzreduktion mit sich zieht. Dadurch wird die Wahrscheinlichkeit von gewaltsamen Konfliktaustragungen verringert, Ergebnis ist das Zusammenwachsen der Gesellschaften zu einer Sicherheitsgemeinschaft.
Über das integrative Potential von Staatengruppen können aufgrund dieser Integrationstheorien Annahmen zu den Erfolgsaussichten regionaler Integration formuliert werden:
Die beteiligten Staaten müssen funktional zusammenpassen, insbesondere bei wirtschaftlichen Zusammenschlüssen. Unterschiedliche Konstellationen können sich als sinnvoll erweisen, allerdings müssen kompatible Strukturen von Angebot und Nachfrage vorhanden sein.
Auch wenn die Konstellation mit einem im Zusammenschluß dominierenden Staat positive Elemente haben kann - z.B. die Übernahme von Integrationskosten - ist eine politische Union in einem solchen Fall problematisch.
Bei starken Ungleichgewichten zwischen den Akteuren ist eine Vertiefung der Zusammenarbeit zu erwarten, da die Notwendigkeit von Regelungen Druck auf die Entscheidungsträger ausübt.
Steigende Transaktionen erschweren die Zurücknahme von Integrationsschritten und erzeugen einen Druck, neue gemeinsame Regelungen und Regelungsinstanzen zu schaffen.
Die Entstehung von grenzüberschreitenden Gruppen von Akteuren mit Eigeninteresse am Fortschritt des Integrationsprozesses wirkt sich kooperationsfördernd aus.
Je stärker ein Gemeinschaftsempfinden durch kulturelle und gesellschaftliche Gemeinsamkeiten ausgeprägt ist, desto eher besteht die Bereitschaft der Beteiligten auch Kosten und Rückschläge zu tragen. Instabilitäten und Regierungswechsel werden eher überwunden.
Niedrige Kosten und hohe Gewinne wirken sich stabilisierend und fördernd auf Integrationsbestrebungen aus.
Je breiter die Verankerung des Prozesses in den Gesellschaften ist, desto größer ist die Basis für die Ausweitung der Integration. Voraussetzung hierfür sind pluralistische politische Systeme und eine Beteiligung privater Akteure.
Eine dauerhafte Motivierung der einzelnen Staaten für die Integration setzt voraus, daß die Kooperation Bereiche betrifft, die nicht in Eigenregie erfolgversprechend angegangen werden können.
Die Beteiligten Staaten müssen stabil sein und vor allem eine legitimierte Regierung haben, da negative Entwicklungen in einem der beteiligten Staaten ein negatives Feedback auf die Integration auslösen kann.
Das Gewicht bedrohlicher exogener Faktoren wird von den klassischen Integrationstheorien zwar vernachlässigt, ist jedoch ein starker Motivator für die langfristige Integration. Die Kooperation dient bei der Wahrnehmung solcher Faktoren nicht nur der ökonomischen Verbesserung sondern auch der Abwehr von negativen Entwicklungen auf wirtschaftlicher aber auch sicherheitspolitischer Basis.
Regionale Integration kann als externe Absicherung interner Maßnahmen fungieren, etwa durch die vertragliche Verankerung von Prinzipien auf regionaler Ebene.
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Der Begriff Globalisierung ist heute in aller Munde und soll die multilateralen Wirtschaftsbeziehungen der heutigen Welt beschreiben. Als Modewort ist seine Bedeutung, gerade für Entwicklungsländer, nicht klar umrissen. Der Prozeß der Globalisierung, der seine Bedeutung der immer schnelleren technischen Entwicklung und der Informationsgesellschaft verdankt, wird von multinationalen Unternehmungen geprägt und beinhaltet alle wirtschaftlichen Aspekte vom multilateralen Handel über die Internationalisierung der Produktion bis hin zu Grenzabbau und zur wirtschaftlichen Integration.
Der Trend zur Globalisierung steigert Auslandsdirektinvestitionen, welche Entwicklungsländern Gelder und somit neue Wachstumschancen bringen.
Wirtschaftsbeziehungen über nationale Grenzen
hinweg gewinnen zunehmend an Bedeutung und erhöhen somit Interdependenzen
zwischen den verschiedenen Wirtschaftsräumen. Die Entstehung von Produktionsketten
über nationale Grenzen hinweg sind ein starker Motivator für regionale
wirtschaftliche Integrationsprozesse und bewirken auch eine Verschiebung der
Regulationsformen, es kommt letztlich zur Institutionalisierung von supranationalen
Regulationsinstanzen.11
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In der Zeit zwischen der Mitte der 30er und dem Ende der 70er Jahre erlebte Lateinamerika - im Cono Sur insbesondere Brasilien und auch Argentinien - einen wirtschaftlichen Wachstumschub und eine industrielle Entwicklung, die ihresgleichen nur in den späteren Erfahrungen Südostasiens fand. Dieser Prozeß durchlief drei große Etappen: Durch die Anziehung von ausländischen Direktinvestitionen und der Export traditioneller Primärprodukte (Land- und Viehwirtschaft sowie Bergbau) und die Finanzpolitik der Staaten kam es in den 30er und 40er Jahren zunächst zur Errichtung von nicht dauerhaften Konsumgüterindustrien und zum Aufbau eines ersten Teils von Produktionsgüterindustrien (Stahl und Chemie). Im Anschluß - bis in die 70er Jahre - wurde die dauerhafte Konsumgüterindustrie (Autos und Elektronik) aufgebaut sowie der Produktionssektor ausgebaut. In der dritten Etappe, die nur Brasilien erlebte, wurde der Produktionsgütersektor schließlich vervollständigt.
Dieses Wachstum war ausschließlich nach Innen gerichtet, der Binnenmarkt wurde gegen das Ausland, auch das Lateinamerikanische, durch Zölle und Wechselkurse geschützt. Dieser Schutz und die zunehmende Urbanisierung waren Gründe für die lange Dauer des Prozesses wie auch die starke innere Regulierung von Löhnen und der Wirtschaft.
Die große lateinamerikanische Wirtschaftskrise der 80er begründet sich auch in diesen Faktoren, die einmal den Aufschwung sicherten: Zum einen hatte die Urbanisierung ihren Höhepunkt überschritten, was die Nachfrage bremste. Auf der anderen Seite sah man einen Ausweg aus der sich abzeichnenden Krise durch Produktionsveränderungen. Diese bescherten zwar einen kurzen Konjunkturanstieg, brachten aber langfristig eine Zunahme der Arbeitslosenzahlen - diese Produktivitätsgewinne begründeten sich in der Verringerung des Arbeitseinsatzes pro Produkt und Faktoren wie der Reduktion der Lagerhaltung und der Senkung des Energieverbrauchs. Gleichzeitig hatte man intensiv privatisiert und die starken staatliche Regulierungsmechanismen abgebaut. Die Hierarchie der institutionellen Formen wurde umgedreht13
Einen zentralen Platz in der Schaffung der neuen
Regulationsmechanismen übernimmt nun die internationale Eingliederung:
die regionale wirtschaftliche Integration im Cono Sur ist ein Prozeß zur
Restrukturierung der Wirtschaftsräume.
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In der zweiten Hälfte der 80er Jahre näherten sich Argentinien und Brasilien in Sicherheitsfragen stark an - nachdem sie seit Beginn des letzten Jahrhunderts starke Rivalen um die regionale Vorherrschaft in Südamerika gewesen waren und sich gegenseitig als Bedrohung empfunden hatten.14 Der politischen Annäherung folgten erste zaghafte Versuche der wirtschaftlichen Integration, die allerdings zu vorsichtig formuliert worden waren. Der politische Kontext - beide Staaten stehen zu diesem Zeitpunkt am Anfang eines Demokratisierungsprozesses - begünstigt den wirtschaftlichen Erfolg des Unterfangens jedoch nicht, die bestehende Wirtschaftskrise hat auch eine bremsende Wirkung.15
Dennoch sehen beide junge Demokratien in der ersten Phase der Annäherung (1985-1990) die Notwendigkeit einer Kooperation: Sie erhoffen sich eine politische Stabilisierung durch institutionalisierte Zusammenarbeit und die Verbesserung der Sicherheitslage durch gegenseitige Kontrollen sowie die Stärkung des bilateralen Handels und der internationalen Verhandlungsposition durch gemeinsames Auftreten.16
Die zweite Phase dieser Annäherung ist die eigentliche Entstehung des Mercosur (Gründungsvertrag von Asunción vom 26.3.1991 mit Inkrafttreten am 1.1.1995). Sie ist durch eine Änderung der Zielsetzungen gekennzeichnet: Die neuen Präsidenten, Carlos Menem (Argentinien) und Fernando Collor de Melo (Brasilien), brechen mit der bisherigen Wirtschaftspolitik durch liberale Reformen, die beide Länder nach außen durch Senkung der Zölle öffneten und die Rolle des Staates senkten. Die Integration sollte nun in Hinblick auf einer allgemeine marktwirtschaftliche Öffnung und als Instrument der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt betrieben werden.17
Schon 1990 werden Chile, Uruguay und Paraguay eingeladen, sich an dem Projekt zu beteiligen. Während Chile eine abwartende Haltung einnimmt, entscheiden sich Uruguay und Paraguay Vollmitglieder des Mercosur zu werden. Der Gründungsvertrag beschreibt die Zielsetzungen wie folgt:18
Freihandelszone: freier Verkehr von Gütern, Dienstleistungen und Produktionsfaktoren.
Zollunion: Errichtung eines gemeinsamen Außenzolls und einer gemeinsamen Außenhandelspolitik
Gemeinsamer Markt: Koordination der makroökonomischen und sektoralen Politik, Harmonisierung der Legislative der Mitgliedsstaaten.
Ein klar definiertes Liberalisierungsprogramm sollte bis zum Inkrafttreten des Vertrages die interregionalen Zollbeschränkungen abbauen. Es zeigte sich jedoch, daß der zeitliche Rahmen zu eng gesteckt war, so daß er noch korrigiert werden mußte.
Folgende Regelungen waren am 1.1.1995 erreicht:19
Zollsenkung innerhalb des Mercosur, Ausnahmeregelungen
im Intra-Mercosur-Handel, Schutzklauseln, Außenzoll, Investitionenm Ursprungsregelungen,
Dienstleistungen, Staatsaufträge, Schlichtungsverfahren und die Harmonisierung
der Wirtschaftspolitik sowie die Standardisierung von Normen.
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Der Mercosur lehnt sich in seiner institutionellen Struktur an den Aufbau der Europäischen Union an, bleibt jedoch im intergouvernementalen Bereich: Nationale Kompetenzen wurden nicht auf einen neuen, gemeinschaftlichen Akteur übertragen. Es fehlen supranationale Instanzen wie etwa ein Pendant zum Europäischen Gerichtshof oder der Kommission der EU.
Die wichtigsten Institutionen wurden im Ergänzungsprotokoll von Ouro Preto zum Vertrag von Asunción etabliert. Es handelt sich dabei um den Rat, die Gruppe und das Sekretariat des Mercosur.
Der Rat (Consejo del Mercado Común, CMC) ist das höchste Organ des gemeinsamen Marktes und bestimmt die Politik des Mercosur über für die Mitgliedstaaten bindende Entscheidungen. Solche Entscheidungen werden im Konsensverfahren getroffen und müssen von den Mitgliedern in nationales Recht umgesetzt werden.
Das Exekutivorgan des gemeinsamen Marktes ist die Gruppe des Mercosur (Grupo Mercado Común, GMC). Sie setzt die Entscheidungen des CMC in Beschlüsse um.
Die GMC ist Vertreterin des Marktes bei Verhandlungen mit Dritten, hat jedoch kein unabhängiges Mandat, ist also auf Weisungen des CMC angewiesen. Sie tritt nur im Bedarfsfall zusammen und kann dem CMC Projekte zur Entscheidung vorlegen.
Das Sekretariat (Secretaria Administrativa, SAM) hat seinen Sitz in Montevideo und hat die Funktion einer Dokumentationsstelle.
Die Umsetzung und Überwachung der Maßnahmen des CMC und der GMC erfolgt durch die jeweilig zuständigen Ministerien der Mitgliedsstaaten.
Innenpolitisch verankert ist der Mercosur durch ein wirtschaftliches und soziales Beratungsforum, welches gesellschaftliche und private Akteure vertritt, die sich über Empfehlungen an den GMC wenden können.
Was die Verwirklichung eines gemeinsamen Marktes angeht, weisen die Strukturen des Mercosur einige Defizite auf, bewußte Auslassungen, die fehlende Kompromissbereitschaft aufzeigen. So sollen beispielsweise Migrationsbewegungen durch Lohnniveauunterschiede vermieden werden und existenzbedrohte Branchen durch Ausnahmeregelungen bei der intraregionalen Zollfreiheit - nur 85% des Handels sind auch tatsächlich vom Zoll befreit21 - geschützt werden. Dies macht Sinn, um die politische Durchsetzbarkeit des gemeinsamen Marktes gegen innere Widerstände zu gewährleisten.
Allerdings bestehen Faktoren, die die Umsetzung des Mercosur hemmen können:
Zum einen werden Entscheidungen Ad-hoc getroffen, eine kontinuierliche Zusammenarbeit findet dank dem Fehlen ständiger supranationaler Organe nicht statt.
Außerdem bedeutet das Fehlen solcher supranationalen Organe auch den Verzicht auf Instanzen, die gegenüber nationalen Egoismen eine gemeinschaftliche Position beziehen könnten. Auch wären solch unabhängige Institutionen maßgebliche Antriebkräfte für weitere Integrationsschritte.
Das Konsensverfahren bei der Entscheidungsfindung des Mercosur kann sich zudem als Entwicklungshemmnis erweisen.
Indessen sind diese Defizite jedoch von den Regierungen der Mercosur-Staaten durchaus beabsichtigt: Man ist nicht zur Abgabe von Souveränität bereit und verweist auf die negative Wirkung gemeinschaftlicher Institutionen in älteren lateinamerikanischen Integrationsprozessen, insbesondere den Andenpakt.
In der Tat ist das intergouvernementale Vorgehen
- bei dem die selben Beamten als Vertreter nationaler Interessen Regelungen
verhandeln, die später für deren Umsetzung verantwortlich sind - auch
vorteilhaft: es erspart die Einrichtung einer teuren Behörde und kann einen
flexiblen und schnellen Ablauf gewährleisten, allerdings bleibt der Mercosur
so bei der technischen Umsetzung des Integrationsprozesses vom politischen Willen
seiner Mitglieder abhängig.
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Dreieinhalb Jahre nach der Entstehung der Freihandelszone und der - unvollständigen - Zollunion werden Zweifel wach, ob der Mercosur in der Lage sein wird, das Erreichte zu konsolidieren und höhere Integrationsstufen zu erlangen.
Zunächst kann festgestellt werden, daß bedeutende Fortschritte erzielt wurden. Die wirtschaftliche Entwicklung ist bemerkenswert, internationale Verbindungen konnten ausgebaut und Kooperationsfelder ausgeweitet werden. Über die Gleichwertigkeit von Schul- und Hochschulabschlüsse wurde entschieden und über die Zahlung von Sozialleistungen an Bürger mit Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat wurde sich 1997 geeinigt.
Allerdings ist die Harmonisierung der Politik im Rückstand und es gibt Probleme bei der Anpassung von Normen - insbesondere die beiden Hauptakteure Argentinien und Brasilien haben hier Freiheiten was die Umsetzung der festgelegten Spielregeln betrifft.
Der Mercosur wurde mit wirtschafltichen Problemen durch exogene Faktoren - wie der Verfall der mexikanischen Währung, der Spekulation auf brasilianische Zahlungsmitte oder auch den Auswirkungen der Asienkrise konfrontiert.
Aufgrund dieser Entwicklungen gab es Uneinigkeiten bei den Ausnahmeregelungen, die Produkte und Sektoren aus der Zollfreiheit ausklammert.
Die wirtschaftlichen Interessen und deren Durchsetzung werden von den Mitgliedstaaten regelmäßig als Druckmittel eingesetzt. Der Fortschritt bei der Harmonisierung und Koordination der nationalen Politikfelder - insbesondere bei der Behebung tariflicher Hemmnisse, gemeinsamer Regelungen in Zollfragen, der Angleichung der Fiskalpolitik etc. - ist deutlich gebremst.
Einige Beispiele:
Einzig Paraguay hat die Zollunion bislang in seine Gesetzgebung integriert.
Insbesondere die brasilianische Automobilindustrie verlangt starken Protektionismus: Bereits im Juni 1995 droht Brasilien mit der Einführung von Quoten für Automobilimporte aus Argentinien. Diese Krise kann zwar beigelegt werden, ihr folgt im Dezember 1996 der Streit um die Begünstigung der Zuliefererindustrie in Brasilien, der Argentinien benachteiligen würde. Dieser Auseinandersetzung schließt sich die Debatte über konkurrenzverzerrende Subventionspolitik im Mercosur an. Im März 1997 entscheidet Brasilien über eine Erschwerung der Finanzierung von Importen in diesem Bereich um sein Handelsdefizit zu begrenzen und beschließt lapidar, daß diese Maßnahmen die anderen Staaten des Mercosur nicht betreffen.
Im November 1997 versucht die brasilianische Regierung mit einer geänderten Steuerpolitik die Auswirkungen der Wirtschaftskrise aufzufangen. Argentinien unterstützt die Forderung nach Erhöhung des gemeinsamen Außenzolls beim anderen großen Mercosur-Partner aus eigennützigen Beweggründen, die beiden kleinen Mitglieder schliessen sich wohl oder übel an.
Seit 1998 versucht Brasilien die Einführung von Agrarprodukten aus anderen Mercosur-Staaten zu erschweren. Im Februar wird eine Maßnahme ergriffen, nach der im Ausland erworbene Milchprodukte nicht länger als 30 Tage finanziert werden dürfen. Ein Gesetz, welches diese Regelung auf sämtliche Agrarprodukte ausweitet, ist seitdem in Planung.
Entgegen dem 1994 vereinbarten Zeitplan, der das Inkrafttreten der unbeschränkten Freihandelszone für 1999-2000 und der Zollunion für 2006 vorsieht, werden kontinuierlich Sonderregelungen und Handelshemmnisse eingeführt, die die nationalen Interessen der einzelnen Mitgliedstaaten schützen sollen und so den Ablauf des Integrationsprozesses in einigen Bereichen stark behindern.
Solche Entwicklungen zeigen das Grundproblem des Mercosur auf: Seine Erfolgsaussichten werden durch die wirtschaftliche Instabilität der beiden großen Partner geschmälert. Insbesondere die Möglichkeit, wichtige Sektoren aus dem Freihandel auszuklammern, bedroht den Erfolg dieses gemeinsamen Marktes. Im Außenhandel durch instabile makroökonomische Bedingungen (Inflation, unklare wirtschaftspolitische Strategien, Budgetdefizit, stark schwankende Devisenreserven und festgesetzte Wechselkurse) entstandene Wettbewerbsverzerrungen behindern den Warenaustausch.23
Möchte man Bilanz ziehen - so man das nach acht Jahren schon kann - findet man Uneinigkeit: Momentan stellen viele Analysten eine Stagnation des Integrationsprozesses fest, da die Harmonisierung der beteiligten Staaten an Dynamik zu wünschen übrig läßt. Andere sehen hierin mehr eine unverschuldete Entwicklung: Der Mercosur konnte durch die Auswirkungen der letzten beiden internationalen Krisen zwar seinen Zeitplan nicht wie geplant einhalten, dennoch müsse die doch insgesamt positive wirtschaftliche Entwicklung und der politische Integrationswille der beteiligten Staaten gewürdigt werden.
Sie streichen als Erfolg hervor, daß Chile und Bolivien sich dem gemeinsamen Markt des Südens assoziiert haben. Der explodierende intranationale Handel im Mercosur ist der gewichtige Punkt schlechthin, der für den Erfolg dieses Marktes spricht. Auch steht der Mercosur als Wirtschaftsraum nach der NAFTA, der EU und Japan an vierter Stelle vor China, der ASEAN und der Russischen Föderation an einem sehr guten Platz im internationalen Wirtschaftsgeschehen.
Trotz der Schattenseiten hat der Mercosur einen
irreversiblen Grad der Integration auf beiden, dem politischem und dem wirtschaftlichem
Sektor, erreicht. Nach der Krise in Brasilien Anfang 1999 haben die Regierungen
des Mercosur ihren Willen bekräftigt, den gemeinsamen Markt zu konsolidieren.
Angedacht sind zumindest die Reduzierung der Subventionspolitik auf Exportgüter
in Brasilien und die Herstellung eines neuen wirtschafltichen Gleichgewichts
zwischen den Mitgliedstaaten. Auch über eine weitere Koordinierung der
Makroökonomien bis hin zur Schaffung einer gemeinsamen Währung wurde
gesprochen. Punkte, die beim Gelingen ihrer Umsetzung für einen weiteren
Erfolg des Mercado Común del Sur sprechen.24
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(..) Es gibt Integration und Integration. Einmal die Integration, die der Höhepunkt eines Befreiungsprozesses ist, der gerechten und ausgeglichenen Entwicklung unserer Völker, so, wie er von den Libertadores ertäumt wurde: die Patria Grande der Lateinamerikaner und Caribeños. Das andere Mal eine einfache Eliminierung der Wirtschaftsgrenzen zwischen den Paktstaaten, um die Ausbeutung derselben durch die unseren Industrie- und Exportsektor dominierenden ausländischen Konzerne dynamischer und lukrativer zu gestalten.25
meint Paulo R. Schilling in den Schlußfolgerungen seiner Arbeit Mercosur, Integration oder Beherrschung. Wenige Zeilen weiter erklärt er, weder Argentinier noch Brasilianer seien derzeit in der Lage, die gute Form der Integration zu verfolgen, Uruguay und Paraguay werden aus seiner Sicht annektiert, den Mercosur sieht er als Opfer multinationaler Konzerne.
Auch wenn diese Sicht der Dinge etwas überspitzt scheint, so ist auch sie nicht völlig aus der Luft gegriffen. Daß sich die beiden großen Mercosur-Staaten, insbesondere Brasilien, um ihr Gewicht in diesem Zusammenschluß durchaus wissen, zeigt die Entwicklung der Sicherung nationaler Interessen innerhalb des Marktes.
Daß der Mercosur einzig aus der romantisch anmutenden Motivation der Besinnung auf historisch-kulturelle Werte der Patria Grande heraus gegründet worden wäre, würde man sicherlich schwerlich stichhaltig belegen können. Unbestitten bleibt zwar, daß der Regionalismus in Lateinamerika immer auch ein Stück Geschichte ist und prinzipiell alle lateinamerikanischen Staaten einschließt26, wie in Kapitel 3.1 jedoch beschrieben, lag die Motivation bei der Entstehung des Mercosur primär in wirtschaftspolitischen Aspekten begründet.
Wie bereits beschrieben, sind sich zwar die
beiden großen Mercosur-Partner ihres politischen Gewichts gewahr, so daß
Uruguay und Paraguay auch Kompromisse eingehen müssen. Von der wirtschaftlichen
Entwicklung im gemeinsamen Markt profitieren jedoch alle Partner in ähnlichen
Proportionen27.
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Der Mercosur stellt mit einer Bevölkerung von etwa 200 Millionen Menschen einen großen Markt dar, man sollte also meinen, daß Multinationale Unternehmen - oder Neu-Deutsch Global player - sich diesen Markt durch hohe Auslandsinvestitionen sichern. Dennoch spielt ausländisches Kapital im Mercosur eine eher untergeordnete Rolle - wenngleich die Auslandsinvestitionen steigen. Der Löwenanteil kommt aus der EU - US-Amerikaner und Japaner sind zurückhaltender - und erlebte einen sprunghaften Anstieg mit der Gründung des Mercosur (Investitionen aus den USA und Japan stiegen mit 2 Jahren Verzögerung an). Dieser Anstiegt unterstützt die Vermutung, daß die Größe des Marktes attraktiv auf die Investoren wirkt.28
Unter den vier Partner-Staaten profitiert Argentinien am meisten von diesen Investitionen, die beiden kleinen am wenigsten. Dies untermauert die Theorie, daß die Zurückhaltung der Investoren in der noch instabilen politischen Lage (Argentinien gilt als stabilstes Mitglied) und den Anfangsproblemen des Integrationsprozesses zu begründen ist.29
Einen Anstieg von Export durch die Investitionen aus dem Ausland ist ebenfalls kaum zu verzeichnen. In Argentinien gingen sehr viele dieser Gelder in die Privatisierung von öffentlichen Dienstleistern und der Ölindustrie, später auch in die Nahrungsmittelindustrie. Es wurde also in den lokalen, argentinischen Markt investiert. Die Investitionen in die Automobilindustrie bringen immerhin Exporte in den Mercosur. Da diese Produkte auf dem Weltmarkt kaum Wettbewerbsfähig sind, belegen interregionale Exporte eher einen marginalen Stellenwert.
Nach der Abdeckung der nationalen Märkte erwartet man nun jedoch eine Zunahme des intraregionalen Exportes, hauptsächlich begründet im Im- und Export innerhalb der Unternehmen - Automobil- und deren Zuliefererindustrie - selbst. Die Profiteure sind hier wieder hauptsächlich Argentinien und Brasilien.30
Zweifelsohne hat die Ansiedlung multinationaler
Konzerne und ihrer Niederlassungen Auswirkungen auf die lokale Wirtschaft, so
werden in Argentinien beispielsweise die ursprünglichen Lebensmittelerzeuger
von den Multis verdrängt.31
Da die marktwirtschaftlichen Reformen und die Gründung des gemeinsamen
Marktes einen Weg aus der Krise bedeuten - damit ist auch ein leichter Anstieg
der wirtschaftlichen Relevanz für andere Weltregionen erreicht worden32
- kann man nicht wirklich von Ausbeutung und Opfern sprechen.
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Durch die Schaffung eines erweiterten Marktes wurde der Mercosur weltwirtschaftlich interessanter - sowohl für Europa, als auch für die USA. Die europäischen Bemühung in diese Richtung sind als Versuch zu werten, wirtschaftliches Terrain zu gewinnen, bevor die USA Fuß fassen, die den Mercosur aufgrund seiner politischen Instabilität etwas später als interessanten Handelspartner entdeckten. Allerdings sind die Aussichten für eine Zusammenarbeit von EU und Mercosur aufgrund des starken Agrarprotektionismus Europas alles andere als sicher.33 Die Annäherung zwischen diesen beiden Zollunionen hat mehrere logische Erklärungen:34
Europäische Investitionen in Lateinamerika haben auch in der decada perdida der Krise widerstanden und sind mit der Gründung des Mercosur sprunghaft angestiegen.
Der Mercosur ist an die Strukturen der EU angelehnt und hat von dort auch technisch-administrative Unterstützung seit seiner Entstehung erfahren.
Europa hat historisch und kulturell bedingte Interessen an einer Präsenz in Lateinamerika.
Obwohl aus den Gesprächen zwischen der EU und dem Mercosur noch keine konkreten Ergebnisse entstanden sind (in der Hauptsache dank der protektionistischen Haltung einzelner EG-Staaten im Agrarsektor und dies trotz der Tatsache, daß der Mercosur bereits heute der wichtigste Importeur für landwirtschaftliche Produkte in die EU ist), haben sie für den Mercosur die nicht irrelevante Bedeutung der internationalen Anerkennung gebracht.35
Am Beispiel Brasiliens erklärt sich die Position des Mercosur mit dem anderen wichtigen potentiellen Handelspartner, den USA:36
Auf der Basis der NAFTA ist die Gründung einer gesamtamerikanischen Handelszone im Gespräch: die Western Hemisphere Free Trade Area (WHFTA), der von einigen Seiten eine große Bedeutung zugesprochen wird, auch wenn noch völlig unklar ist, ob es sie in dieser Form geben wird.
Brasilien, als eine Führungsmacht des südamerkanischen Kontinents wäre der Ansprechpartner für die USA zur Gründung einer solchen WHFTA - viele Staaten Lateinamerikas stehen in bilateralen Verhandlungen mit den USA. Allerdings haben beide Staaten unterschiedliche Vorstellungen über die Integration der Hemisphäre: für Brasilien wäre eine multilaterale Ausrichtung relevanter, da dieses Land globalen Handel betreibt und auch aus Europa beträchtliches Investitionskapital bezieht. Somit steht die Befürchtung im Raum, daß die Ausrichtung auf eine Erweiterung der NAFTA mehr Kosten als Nutzen bringt. So bevorzugte der größte lateinamerikanische Staat auch die Idee einer Südamerikanischen Freihandelszone, der SAFTA. Vorteil: Sicherung der Vormachtstellung auf dem südlichen Kontinent und Stärkung der Verhandlungsposition mit der NAFTA und den USA. Dieses Projekt war bislang jedoch nicht erfolgreich, so daß Brasilien sich wieder auf den Mercosur konzentrierte.
Mit der Assoziation Chiles und Boliviens an den Mercosur steigen nun auch die Chancen einer Erweiterung dieses Integrationsprojektes. Eine Entwicklung in Richtung SAFTA scheint somit auch wahrscheinlicher als in Richtung WHFTA - die lateinamerikanische Integration scheint stärker bewertet als die Kooperation mit den USA.
Der Mercosur steht also zwischen den beiden
Wirtschaftsblöcken USA/Kanada und der EU. Durch die Verschiedenen Interessen
dieser beiden Wirtschaftsmächte am Mercosur steigt auch sein Marktwert
im internationalen Wirtschaftsgeschehen. Seine multilateralen Interessen - beide
Systeme stellen große potentielle Absatzmärkte dar - könnten
ihn zu einer Art lachendem Dritten machen.
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Betrachtet man den Mercosur nicht als inkomplette Kopie der Europäischen Union sondern als gewollt eigenständiges und differenziertes Projekt der wirtschaftlichen und politischen Integration und trägt man der Tatsache Rechnung, daß dieser Prozeß gerade in der Entstehung befindlich ist, kann man die Entwicklung des Mercado Común del Sur durchaus positiv bewerten.
Natürlich ist, gerade in Anbetracht dessen, daß schon einige lateinamerikanische Integrationsprojekte gescheitert sind, auch Vorsicht geboten. Überschwänglicher Optimismus ist ebenso fehl am Platze wie schwarzseherischer Pessimismus. Auch die als Mustervorlage genannte EU hat Rückschläge erlitten und muß heute noch mit Streitigkeiten um nationalstaatliche Eigeninteressen leben. Die beschriebenen Risikofaktoren, die den Mercosur zum Scheitern bringen könnten, müssen von den Verantwortlichen ernst genommen werden.
Die glaubhaft gemachte Bekundung des politischen Willen ist im Falle der Regionalmacht Brasilien etwas skeptisch zu betrachten: Seine dominante Rolle, gerade auch im Verhältnis zwischen den Blöcken, könnte eine folgende Regierung dazu veranlassen der Mercosur aufzugeben und das Projekt somit zu torpedieren. Allerdings ist die Integration schon so weit fortgeschritten, daß die Kosten eines solchen Handelns für diese theoretische Regierung abschrenkend hoch wären.
Vielleicht ist jedoch diese Rolle Brasiliens auch eine Chance für den Mercosur. Die Bedeutung dieses Staates in Lateinamerika könnte dem gemeinsamen Markt durch geschickte Vertragsabschlüsse ermöglichen, erfolgreich Vorteile der Zusammenarbeit mit den beiden wichtigsten in Frage kommenden Partnern - USA und EU - gleichzeitig auszuschöpfen.
Fakt ist, daß der Mercosur schon jetzt
eine wichtige und respektierte Institution im politischen und besonders im wirtschaftlichen
Gefüge dieser Welt geworden ist. Werden die erforderlichen Bemühungen
vollzogen, stehen die Chancen gut, daß sich seine Mitgliedstaaten am Anfang
des nächsten Jahrhunderts in die Riege der Industrienationen eingliedern
können.
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Freiburg den 3. September 1999
Jean-Christophe Haimb
(Die Buchsignaturen beziehen sich auf Bibliothen in Freiburg)
Bhalla, A.S., Bhalla, P.: Regional Blocs, Building Blocks or Stumbling Blocks?, London, Macmillan Press LTD., 1997
[UB: SW 97/2811]
Faria, Luiz Augusto Estrella: Regionale Integration und Entwicklung im Cono Sur, Journal für Entwicklungspolitik XIV/2, 1998, S. 167 - 191
Grandi, Jorge, Schutt, Daniel: Bilan de sept années de Mercosur, Problèmes dAmérique latine N° 32, janvier - mars 1999, S. 73 - 98
Hillcoat, Guillermo: Les relations extérieures du Mercosur: bilan et perspectives, Problèmes dAmérique latine N° 26, juillet - septembre 1997, S. 101 - 124
Mols, Manfred: Integration und Kooperation in zwei Kontinenten: das Streben nach Einheit in Lateinamerika und Südostasien, Stuttgart, Steiner, 1996
[UB: GE: 96/3838]
Schilling, Paulo R.: Mercosur, Integration oder Beherrschung?, Berlin, Edition Latein-Amerika, 1993
[UB: TM 98/4175]
Schirm, Stefan A.: Kooperation in den Amerikas, NAFTA, MERCOSUR und die neue Dynamik regionaler Zusammenarbeit, Baden-Baden, Nomos Verlangsgesellschaft, 1997
[UB: SW 97/464]
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1 Faria (1998), S. 167
2 Ebenda
3 Mols (1996), S. 25
4 Mols (1996), S. 20ff., Zitat S. 22
5 Mols (1996), S. 22
6 Mols (1996), S. 25ff.
7 Schirm (1997), S. 22
8 Mols (1996), S. 27f., Zitat S. 28
9 Schirm (1997), S. 23ff.
10 Bhalla, Bhalla (1997), S. 22
11 Faria (1998), S. 182f.
12 Faria (1998), S. 175ff.
13 Faria (1998), S. 181
14 Schirm (1997), S. 80f.
15 Grandi, Schutt (1999) S. 75f.
16 Schirm (1997), S. 81f.
17 Schirm (1997), S, 82f.
18 Grandi, Schutt (1999), S. 76
19 Schirm (1997), S. 86
20 Schirm (1997), S. 87ff.
21 Grandi, Schutt (1999), S. 78
22 Grandi, Schutt (1999), S. 79ff.
23 Schirm (1997), S. 92
24 Grandi, Schutt (1999), S, 95ff.
25 Schilling (1993), S. 175
26 Mols (1996), S. 101ff.
27 Bhalla, Bhalla (1998), S. 146f.
28 Bhalla, Bhalla (1998), S. 149f.
29 Ebenda
30 Bhalla, Bhalla (1998), S. 151ff.
31 Bhalla, Bhalla (1998), S. 153
32 Schirm (1997), S. 139
33 Schirm (1997), S. 139
34 Hillcoat (1997), S. 102ff.
35 Hillcoat (1997), S. 106
36
Bhalla, Bhalla (1997), S. 154ff.