Albert-Ludwigs Universität Freiburg
Historisches Seminar
Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialgeschichte
  Prof. Dr. Dr. Franz-Josef Brüggemeier
Proseminar: Die Entwicklung der deutschen Universitäten im "Dritten Reich"
Leitung: Dr. Wolfgang Faßnacht
Wintersemester 1999/2000


Nationalsozialistische Machtergreifung an den Hochschulen -

Welche Rolle spielten die studentischen Verbindungen?


Vorgelegt von:
Jean-Christophe Haimb
Thannhauserstr.12
79114 Freiburg
Tel.: 0761 / 85947
eMail: jc@haimb.de

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
2. Historischer Überblick der Entwicklung studentischer Verbindungen bis Weimar
2.1 Vorformen der heutigen Studentenverbindungen
2.2 Entstehung der heutigen Formen von Studentenverbindungen
2.3 Erste politische Profile
2.4 Das Ende des Liberal-Demokratischen
3. Über die Weimarer Republik zum „Dritten Reich“
3.1 Erste Begegnungen mit der Republik
3.1.1 Reaktionen der Verbände
3.1.2 Die Deutsche Studentenschaft und der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund
3.2 Die weitere Entwicklung: Kooperation gegen die Demokratie
3.3 Korporationen im „Dritten Reich“
4. Schlussfolgerungen
5. Literaturverzeichnis


1. Einleitung

„Honor, as well as freedom, had been sacrified for Fatherland“ schreibt Michael Steinberg1 und zeichnet mit diesen wenigen Worten (nach dem Motto „Ehre, Freiheit, Vaterland“ der Deutschen Buschenschaft) ein - wie hier gezeigt werden wird - recht genaues Bild der Situation der deutschen Verbindungsstudenten auf dem Weg von Weimar in das „Dritte Reich“, auch wenn sich die eingeschlagenen Routen unterscheiden.


Mit rund 71.400 „aktiven Mitgliedern“ waren über die Hälfte der männlichen Studenten vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten Mitglieder in studentischen Verbindungen, hinzu kommen ca. 175.000 „Alte Herren“ - diese häufig in einflussreichen Gesellschaftspositionen2. Eine nicht unbedeutende Personengruppe also, die in großen Teilen zumindest dem konservativen Lager zugeordnet werden kann. Kommt den Alten Herren aufgrund ihrer oft gesellschaftlich hohen Stellung ein großes Gewicht zu, so ist die Funktion der Studenten als künftige „geistige Elite“ nicht minder bedeutend.

Ziel dieser Arbeit soll es sein, die Rolle der korporierten Studenten bei der nationalsozialistischen Einflussnahme und späteren Machtübernahme an den Universitäten zu untersuchen.


Zunächst soll ein historischer Überblick beleuchten, was Verbindungsstu­denten sind und ob Korporationen - wenn sie denn Wegbereiter des Nationalsozialismus waren - eine ausgesprochen rechtslastige Tradition haben, bzw. was ihre politischen Ziele sind.


Das besondere Augenmerk liegt auf den politischen Positionen korporier­ter Studenten in der Weimarer Republik und den Beziehungen zu in dieser Zeit entstandenen nationalsozialistischen Organisationen. Abschließend wird auf die Situation im „Dritten Reich“ selbst eingegangen werden, da hier Belege für die Entwicklungen in der Zeit nach dem ersten Weltkrieg erwartet werden.


Eingangs soll noch erwähnt werden, dass es „den Korporierten“ oder „die Verbindung“ nicht gibt. Individuen treten in Korporationen ein, die sich wiederum in Verbänden zusammen schließen. Standpunkte der Verbände decken sich nicht zwingend mit der Einstellung aller Mitgliedsorganisationen, geschweige denn aller einzelnen Mitglieder. Studentische Verbindungen der Neuzeit treffen Entscheidungen in demokratischen Abstimmungen. Allerdings: bei freiwillig zusammengekommenen Organisationen werden sich Personen ähnlicher Auffassungen auch eher unter jeweils einem Dach gruppieren, so dass man zumindest bei den großen Fragen eine breitere Einigkeit unter Verbindungen eines einzelnen Dachverbandes erwarten kann.


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2. Historischer Überblick der Entwicklung studentischer Verbindungen bis Weimar3


2.1 Vorformen der heutigen Studentenverbindungen


Bereits aus dem Mittelalter sind Vorformen studentischer Verbindungen, wie wir sie heute kennen, bekannt. An den Universitäten von Bologna und Paris entstanden zuerst landsmannschaftliche Zusammenschlüsse von Studenten aus gleichen Ländern - die sogenannten Nationes. Mehrere Nationes zusammen bildeten häufig sogenannte Korporationen.

Aus hospicia - von den Universitäten gemietete Wohnungen für Studenten in denen auch Vorlesungen gehalten wurden - entwickelten sich die Bursen, Wohn- und Lerngemeinschaften auf deren Funktionsweise die heute bestehenden Verbindungen in Teilen zurückgreifen. Hiervon leiten sich die Bezeichnungen Bursch - für den einzelnen Studenten - und Burschenschaft ab, die bis ins 19. Jahrhundert üblich waren. Aus letzterem wurde erst Anfang des 19. Jahrhunderts die Bezeichnung für einen Typ studentischer Organisationen, der neben den anderen bestand.


Waren die hier Beschriebenen Typen Burse, Nation und Korporation noch fester Bestandteil der Universität selbst, erscheinen mit Ende des Mittelalters kleine, private Zirkel mit mehr geselligem Charakter, Landsmannschaften, die auf bestehende Traditionen zurück griffen. Im 16. und 17. Jahrhundert entstand hier der Pennalismus, ein Brauch, nachdem Studien­anfänger im ersten Jahr ältere Studenten nicht nur bedienen sondern teil­weise auch finanziell aushalten mussten; für Widerspruch und „Fehlverhalten“ wurden die Pennäler bestraft bis misshandelt. Wenn auch weitaus weniger extrem, findet sich diese Form der Hierarchie heute noch wieder: neue Mitglieder von Verbindungen (Füxe) haben in ihren ersten ein bis zwei Semestern nicht alle Rechte und Pflichten der Vollmitglieder (Burschen) und müssen oft zumindest auf Veranstaltungen der Verbindung Gäste und Burschen bewirten.


Aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sind erstmals schriftliche Statuten überliefert, die das Verbindungsleben regeln: Unterordnung unter einen gewählten Vorsitzenden, Mehrheitsbeschlüsse, geselliges Miteinander (Comment) und die Satisfaktion von Beleidigungen.

Waren diese Landsmannschaften noch eher eine lockere Gemeinschaft, die mit dem Studienabschluss endete, brachten die am Ende des 18. Jahrhunderts aufkommenden Orden das Lebensbundsprinzip hervor. Nach dem Vorbild der Freimaurerlogen entstanden, finden sich hier erstmals Merkmale wie Geheimhaltung (Zirkel als Zeichen der Verbindung, Kreuze zur Kennzeichnung der Vorstände, man kannte sich nur unter dem Vulgo - einem Spitznamen - um bei Vernehmungen keine bürgerlichen Namen ver­raten zu können), exklusive Auswahl der Mitglieder, ein kompliziertes Zeremoniell. Weiter unterschieden sich die Orden durch ein weltanschauliches Programm, sympathisierten mit den Ideen der Französischen Revolution und hatten eine politische Zielsetzung, weswegen sie verfolgt wurden und gegen 1800 verschwanden.

Daneben entstanden sogenannte Kränzchen, die wesentliche Merkmale der Orden übernahmen, jedoch apolitsch waren und daher geduldet wurden. Um die Jahrhundertwende entwickelten sich hieraus die ersten Corps.


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2.2 Entstehung der heutigen Formen von Studentenverbindungen


Mit der Reform der Universität zu Beginn des 19. Jahrhunderts ändert sich das Selbstverständnis der Studenten. Unter dem Eindruck patriotischer bis völkischer Schriften (z.B. Friedrich Ludwig Jahn, Ernst Moritz Arndts und Johann Gottlieb Fichte) und der napoleonischen Besetzung, beteiligen sich viele Studenten am Befreiungskampf und schlossen sich dem Lützowschem Freicorps an (1813 durch Major Adolf Freiherr von Lützow mit Erlaubnis des preußischen Königs gegründet), um die regulären Truppen zu unterstützen.


Mit der Verabschiedung der Schlussakte des Wiener Kongresses fühlten sich viele um das Ziel der nationalen Einheit betrogen und so gründen am 12. Juni 1815 143 Studenten in Jena die erste Burschenschaft - Urburschenschaft - mit dem Wahlspruch „Ehre, Freiheit, Vaterland“. Aus ihrem Programm - Verknüpfung von studentischen Traditionen und politischen Forderungen - leitete die Burschenschaft eine Führungsrolle vor den älteren Organisationsformen heraus, die im weiteren Verlauf das Verhältnis der Korporationen untereinander bestimmte und teilweise belastete.

Neben den durchaus positiv zu bewertenden Impulsen der Urburschenschaft müssen heute auch reaktionäres Gedankengut (z.B. blinder Revanchismus gegen Frankreich) und - insbesondere im Zusammenhang mit dieser Arbeit - beginnender Antisemitismus gesehen werden: So war die Aufnahme Nicht-Deutscher zwar möglich, Nicht-Christen waren jedoch zeitweise ausgeschlossen; und wenngleich bei der Bücherverbrenndung (23 Titel) auf dem Wartburgfest 1817 maßgeblich Werke „den Flammen übergeben“ wurden, die für die alte Ordnung und die Obrigkeit standen, wurden auch der „Code Napoléon“ (Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz, Abschaffung traditioneller Privilegien) und „die vor den Gefahren eines übersteigerten Deutschtums warnende Broschüre ‚Germano­manie, Skizze zu einem Zeitgemälde‘ des deutsch-jüdischen Schriftstellers Saul Ascher“4 zu den Worten „Wehe über die Juden, so da festhalten an ihrem Judenthum und wollen über unser Volksthum und Deutschthum schmähen und spotten“5 verbrannt. Solch antijüdischen Agitationen stießen zu diesem Zeitpunkt noch nicht auf eine breite Basis, auch ist diese Bücherverbrennung nicht pauschal mit der des 10. Mai 1933 zu vergleichen (die jedoch bewusst im Stile derer von 1817 inszeniert worden ist)6.


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2.3 Erste politische Profile

Mit den „Karlsbader Beschlüssen“ kommt es 1819 unter anderem zum Verbot der „allgemeinen Burschenschaft“, die Jenaer Urburschenschaft wird aufgelöst. In diese Zeit des Umbruchs in Deutschland fällt auch ein wachsender Antisemitismus - besonders im akademischen Bürgertum - durch die starke Zuwanderung literarisch gebildeter Juden aus dem Osten; die illegalen Burschenschaften schlossen von 1822 bis 1831 Ausländer und Juden aus7. 1827 wird die „Allgemeine Deutsche Burschenschaft“ im Geheimen gegründet, die französische Juli-Revolution von 1830 und der polnische Volksaufstand beleben das nationale und demokratische Denken, dem sich auch die politischen Burschenschaften unterstützend anschließen. Höhepunkt der demokratischen Bewegung bildet das Hambacher Fest (1832, von Kleinbürgern oder Burschenschaftern organisiert - die Literatur ist sich hier uneinig8), auf dem bis hin zur Verkündung eines „konföderierte[n] republikanische[n] Europa[s]“9 etliche progressive Forderungen gestellt wurden. Die Obrigkeit reagiert drakonisch, „von 1832 bis 1838 wurden [...] Untersuchungen gegen mehr als 1800 Personen geführt, darunter mindestens 1200 Burschenschafter und Akademiker.“10 39 Studenten werden zum Tod verurteilt.


Wie schon bei der ersten Verfolgung, profitieren die anderen Typen studentischer Verbindungen. In den 1830er und 1840er Jahren kam es vermehrt zur Gründung von apolitschen christlich-ökumenischen Verbindungen, die katholischen als Reaktion auf die Angriffe des preußischen Protestantismus auf die katholische Kirche (Gefangennahme des Kölner Erzbischofs Clemens August zu Droste-Vischering durch den preußischen Staat 1837, Schmähungen der Katholiken anlässlich der Ausstellung des HI. Rockes in Trier im Jahre 1844, in der Schweiz Aargauer Klostersturm 1841).


1848 stehen studentische Anhänger eines republikanisch-demokratischen deutschen Nationalstaates Vertretern konservativer Positionen gegenüber. In der Revolution engagieren sich die progressistischen Studenten, fordern eine konstitutionelle Verfassung, ein deutsches Parlament, Presse- und Versammlungsfreiheit, die Aufhebung der „Karlsbader Beschlüsse“11. In Wien verjagen Studenten und Arbeiter Staatskanzler Metternich, in Berlin kämpfen sie auf den Barrikaden. In der Frankfurter Nationalversammlung befanden sich knapp 20% Burschenschafter. Auf dem „zweiten Wartburgfest“ Pfingsten 1848 und der Hochschullehrertagung im September des gleichen Jahres diskutieren bis zu 1400 Studenten (Nicht-Korporierte und Korporierte verschiedenster Verbände) über Gehalt der Revolution und Reform der Hochschule. Die Progressisten dominieren, es gibt Forderungen nach einem republikanischen Bundesstaat und weitgehenden Hochschulreformen bis hin zur sozialen Öffnung der Universitäten. 12


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2.4 Das Ende des Liberal-Demokratischen

Mit dem Ende der Revolution, dem Sieg des aristokratisch-militärischen Preußen, verlieren die Studentenverbindungen - insbesondere die Allgemeine Deutsche Burschenschaft als politischster Verband - größtenteils ihre politische Zielsetzung und konzentrieren sich auf die Konsolidierung ihrer Formen und Traditionen. Verbindungen etablieren sich gesellschaftlich und werden Staatstragend - Kaiser Wilhelm II galt als „oberster Corpsstudent des deutschen Reiches“. Als die Einigung Deutschlands gesichert ist, wird aus einer nationalen Bewegung eine nationalistische, das progressive und liberale Erbe gegen konservative Überzeugungen getauscht, die Wende zum Illiberalismus eingeleitet. Im Kaiserreich sind etwa ein Drittel aller Studenten korporiert, an einigen Universitäten über die Hälfte.

Ab den 90er-Jahren des 19. Jahrhunderts wächst dieser Nationalismus stetig an, offener Antisemitismus verbreitet sich - insbesondere beim 1881 erklärt antisemitisch gegründeten Verband der Vereine Deutscher Studenten (VVDSt, auch Kyffhäuser Verband) und den Burschenschaften des Allgemeinen Deputierten-Conventes (ADC, ab 1902 Deutsche Burschenschaft, DB). Neben Juden-Hass werden auch andere „innere Feinde“ des imperialen Deutschland gesucht und beispielsweise bei den Sozialdemokraten festgemacht.13


Eine 1883 gegründete Abspaltung des ADC von „Reformburschenschaften“, der Allgemeine Deutsche Burschenbund (ADB) trat neben der Abschaffung der Bestimmungsmensur auch für Toleranz gegenüber Juden ein, ermöglichte ihnen auch die Mitgliedschaft (nach 1919 brach der ADB allerdings peu-à-peu mit diesen Grundsätzen und ging 1933 in die DB über).


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3. Über die Weimarer Republik zum „Dritten Reich“


Gezeichnet ist der Beginn der Weimarer Republik an den Universitäten durch einen Studentenberg aus Kriegsheimkehrern und jungen Abiturienten. Die allgemeine wirtschaftliche Lage erschwert vielmals den Berufseintritt, was sich studienverlängert auswirkt.

Die wirtschaftliche Lage der Studenten selbst ist, besonders anfangs, auch eine andere als vor dem Krieg: Die Unterstützung durch das Elternhaus fällt oftmals weg, weswegen Studenten arbeiten gehen müssen (Werkstudententum). Vor allem Wohnungsknappheit aber auch Möglichkeit von Beziehungen zu Alten Herren steigerten die Attraktivität der Verbindungen, so dass der Anteil der korporierten Studenten über das Niveau des Kaiserreiches stieg:14 1929 betrug dieser Anteil 56,5% der männlichen Studenten des Reiches und Österreichs sowie Danzig und des Sudetenlandes15 (über den Anteil der korporierten Studentinnen finden sich in der vorliegenden Literatur keine Daten, er dürfte jedoch deutlich geringer ausfallen).


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3.1 Erste Begegnungen mit der Republik16


3.1.1 Reaktionen der Verbände


Man kann die Korporationen in zwei große Gruppen unterteilen: die Schlagenden und die Nicht-Schlagenden:


  1. Schlagende Verbindungen („Waffenstudententum“): Neben der BD und den Corps des Kösener Senioren Convents (KSC) sind hier noch die Landsmannschaften der Deutschen Landsmannschaft (DL), die Turnerschaften des Gothaer Vertreter-Convents (VC) als größte Verbände zu nennen. Ebenfalls wichtig sind hier die Verbindungen des VVDSt, der wie die DB auch die politische Bildung seiner Mitglieder als Verbandsziel betrachtet (im Gegensatz zu allen anderen wichtigen Verbänden).

    Während die Corps sich jeder offiziellen politischen Stellungnahme enthielten (dennoch als konvervativ-aristokratisch zu betrachten sind, völkische Ansichten vertraten und Juden ausschlossen), Turnerschaften und Landsmannschaften sich auch nicht außerordentlich politisch aktiv zeigten, bekennen DB und VVDSt deutlich Flagge:

  1. Die Deutsche Burschenschaft: Sie stand der neuen Regierung anfangs durchaus positiv gegenüber und zeigte trotz abwartender Haltung Bereitschaft zur Beteiligung am Neuaufbau des Staates. Mit dem Abschluss des Versailler Vertrages kippt die demokratische Haltung des Verbandes. 1920 schließt sich die DB offiziell dem radikal völkischen Lager an, das Verbandsorgan „Burschenschaftliche Blätter“ bedauert das Scheitern des Hitler-Putsches von 1923, an dem einige Burschenschafter beteiligt waren. 17

 

  1. Der Kyffhäuser-Verband (VVDSt): Hier zeigt sich zunächst eine abwartend-neutrale Haltung, der Verlust der Monarchie muss erst ideologisch verarbeitet werden. Der Versailler Vertrag zeigt auch hier Wirkung: der nationalsoziale, völkische Gedanke erhält Einzug (antisemitisch war der Verband bereits), man erwartet ein zukünftiges Führertum anstelle des verlorenen Kaisertums.

 

  1. Nicht-schlagende Verbindungen: Meist konfessionelle Verbände, mit etwa 80% haben hier die katholischen Verbände (CV, KV, UV) das größte Gewicht vor dem protestantischen Wingolfsbund und dem christlichen Schwarzburgbund.

 

  1. Die katholischen Verbände: KV und UV hielten sich zwar offiziell politisch zurück, lehnten sich in ihrer Haltung dem politisch nun plötzlich aktiv gewordenen CV an.

Ohne zu Beginn verbindliche Richtlinien oder Beschlüsse zu verabschieden, stellt man sich auf die Seite der Demokratie. Neben Forderungen für einen sozialen Staat gibt es auch hier großdeutsches Gedankengut, der Versailler Vertrag bewirkt die Betonung des nationalen Bewußtsein, rassisch-völkische (nicht jedoch national-völkische) Vorstellungen werden jedoch ausgeschlossen. Linke Parteien werden aufgrund der „Unvereinbarkeit mit der katholischen Weltanschauung“ eher abgelehnt, rechte weniger, das Zentrum offen unterstützt.

 

  1. Der Wingolf: Auch dieser Verband entdeckt nun politisches Engagement und stellt sich zunächst auf den „Boden der Tatsachen“, unterstützt die Regierung ohne sie für gut zu halten. Eine Aussprache über das demokratische System tritt hinter die Frage der Nation. Auch hier wird der Versailler Vertrag als Verrat empfunden und stärkt völkisch-nationales Gedankengut. Wie die DB wendet sich der Wingolf gegen die neuen Reichsfarben Schwarz-Rot-Gold.


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3.1.2 Die Deutsche Studentenschaft und der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund18


Im Juli 1919 hatten sich die Allgemeinen Studentenausschüsse der Hochschulen zur Deutschen Studentenschaft (DSt) zusammengeschlossen. Von Anbeginn an forderte diese diskriminierende Ausbildungs- und Prüfungsbedingungen für „fremdstämmige“ Studenten und die Mitgliedschaft war deutschstämmigen Studenten vorbehalten, wenngleich „reichsdeutsche Juden“ anfangs aus taktischen Gründen noch Aufnahme fanden. Wie auch in den ASten, waren viele Korporierte - vornehmlich Waffenstudenten - federführend an der DSt beteiligt. 1923 setzt sich der völkische Flügel in der DSt endgültig durch. In der Folge bezog sie großdeutsche Positionen und stellte sich eindeutig gegen Republik und das geltende Staatsbürgerschaftsprinzip, Juden werden nun ausdrücklich ausgeschlossen.


Jürgen Schwarz sieht die Ursache für den Rechtsruck in einem Generationswechsel innerhalb der Studentenschaft mitbegründet. Maßgeblich repräsentiert war die politische Einstellung der Studenten bis etwa 1922 durch die Kriegsstudenten. Dieser Generation der Heimkehrer wird eine höhere Sachlichkeit und Nüchternheit attestiert. Dies zeigt sich insbesondere bei den völkisch eingestellten Kriegstudenten: Sie waren trotz konträrer Emotionen eher bereit, für die staatsrechtliche Integration der DSt im Deutschen Reich die staatsbürgerlichen Prinzipien zu akzeptieren. Zeitweise lässt sich sogar die Bereitschaft erkennen, dieser Notwendigkeit den großdeutschen Aufbau der DSt zu opfern. Die folgende Studentengeneration wird als romantisch/ leidenschaftlich beschrieben, die oft jegliches Augenmaß und den Blick auf Realitäten verloren habe. Dies zeigt sich in den Anfälligkeit für schwärmerische nationalistische Kundgebungen und politische Affekthandlungen sowie in der Versteifung auf eine Ideologie.19


Der preußische Kultusminister Carl Heinrich Becker forderte 1926 bis 1927 für die staatliche Anerkennung der preußischen Studentenschaften die Aufgabe des „arischen Prinzips“. Einige katholisch dominierte Studentenschaften deuteten in der Folge Kompromissbereitschaft an, die völkisch orientierten verweigerten die Kooperation, verzichteten bewusst auf die Anerkennung durch den ungeliebten Staat und gründeten sich als „freie Studentenschaften“ neu. Die republikanischen Gruppen formierten sich als Deutscher Studentenverband, der jedoch zu klein war, um größeren Einfluss nehmen zu können.


In dieser Phase liegt auch die Gründung des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes (NSDStB, im Februar 1926). Unter der Leitung von W. Tempel steuerte dieser zunächst einen Konfrontationskurs gegen die Korporationen, obwohl schon unter den Gründungsmitgliedern viele Korporierte - insbesondere aus der DB - dabei waren. Unter der Leitung von Baldur von Schirach (selbst ehemaliger Corps-Student, 1931 durch den ehemaligen CVer Derichsweiler abgelöst) ab 1928 wird erkannt, dass man das dort vorhandene antidemokratische, republikfeindliche und völkische Potential nutzen könnte, der eingeschlagene Kurs wieder aufgegeben. Von Schirach:

„Es ist kein Zufall, daß der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund und die schlagenden Verbindungen eine gewisse Auslese des Menschenmaterials der heutigen Studentenschaft in ihren Reihen vereinen: der Wille zur Tat und zur Waffe hat hier die einzig wertvollen aktivistischen Elemente zusammengefaßt.“20


1930 gipfelt die Annäherung mit dem Erlass einer Ehrenordnung, die Mitgliedern des NSDStB die Satisfaktion mit der Waffe zulässt - dies obwohl ein Jahr zuvor Duelle und Mensuren von der Regierung unter Strafe gestellt worden waren.

Die Mehrheit in der DSt erlangt der NSDStB 1931 (die ASten vieler Uni­versitäten stellte er bereits) und führt mit deren Hilfe die berüchtigte Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933 durch. 21


Die korporierten Mitglieder des NSDStB waren überwiegend protestantisch (die katholischen Verbände warnten aktiv vor der Mitgliedschaft, die jüdischen dürften sich kaum für eine Mitgliedschaft ausgesprochen haben). Nach Fakultäten aufgeteilt waren NSDStB-Mitglieder überproportional protestantische Theologen sowie Juristen, Mediziner waren eher unterrepräsentiert. Die soziale Herkunft zeigt anfänglich einen überdurchschnittlich Anteil an Arbeiterkindern, unter von Schirach verschob sich die Verteilung zugunsten Angehöriger des unteren Mittelstandes. Der Anteil der korporierten Mitglieder unterlag starken regionalen Schwankungen, wobei die Spitze bei 70% in Erlangen zu finden ist. 22


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3.2 Die weitere Entwicklung: Kooperation gegen die Demokratie


Neben den Geschehnissen in der DSt, lässt sich ab der Entstehung des NSDStB die Republikfeindlichkeit vieler Korporationen am deutlichsten Belegen. Gemeinsam wurden Republikfeindliche Kundgebungen und Veranstaltungen abgehalten, Veranstaltungen nationalsozialistischer Politiker besucht, Verfassungsfeiern des Weimarer Staates hingegen boykottiert. Gemeinsam agitierte man gegen jüdische Studenten, Dozenten und Verbindungen, störte Veranstaltungen von politisch Andersdenkenden und denunzierte politisch missliebige Dozenten. Gemeinsam wurde die Einrichtung von „Rassenlehrstühlen“ gefordert und der Wehrsport eingeführt... 23


Bei den gemeinsamen Aktivitäten taten sich unter den Waffenstudenten die völkisch ausgerichteten Verbände - DB und VVDSt - besonders hervor. Die Corps zeigten mehr Distanz, wobei vermutet wird, dass der Grund dafür an ihrer „elitären Verachtung“ für das „kleinbürgerlich-proletarische Gebaren“ des NSDStB zu sehen ist. 24

Die christlichen, insbesondere die katholischen Verbände orientieren sich hingegen am Zentrum. Sie lehnen den Antisemitismus der völkischen Ideologie eher ab - „eher“ weil es auch hier Anhänger des völkischen Gedankens gab. Diese begnügten sich mit dem konfessionellen Antisemitismus (im Gegensatz zum rassischen Antisemitismus galt ein Jude, der seine jüdische Konfession abgelegt hatte, als in die „deutsche Volksgemeinschaft“ eingegliedert). Für die völkische Bewegung sind diese „völkischen Christen“ uncharakteristisch. 25


Der unter von Schirach eingeschlagene Annäherungskurs an die Korporationen Ende der 20er-Jahre bescherte dem NSDStB zunehmend bessere Wahlerfolge, vor allem auf Kosten der Listen der völkischen Studentenverbände. Dies lässt den Schluss zu, dass hier die selbe Wählerklientel angesprochen wurde. Die hier besonders häufigen Doppelmitgliedschaften unterstreichen diese Vermutung.

Die Annäherung an die völkischen Verbindungen, die wegen ihrer Ideologie in Konkurrenz zum NSDStB standen, kann als geschickter Schachzug zur Machtgewinnung innerhalb Studentenschaft gesehen werden.


Ein paar (leider schwer zu findende) Zahlen sollen die Bedeutung der Doppelmitgliedschaften nicht schmälern aber jedoch Relationen herstellen: „Tatsächlich konnte Baldur von Schirach schon 1929 über 150 Verbindungen aufzählen, in denen der NSDStB vertreten war.“26

An der Universität Freiburg gab es im WS 1930/31 insgesamt 55 studentische Verbindungen (1100 Studenten)27, 1934 bestanden insgesamt 210 Burschenschaften der DB und 119 Corps des KSC28, der CV zählte 1929 119 und 1935 126 Verbindungen29. 1929 werden etwa 71400 Studenten in 37 Verbänden gezählt (DB: 8678, KSC: 5184, CV: 8493) - davon 731 in 2 jüdischen Verbänden30, der NSDStB zählt 1931 4000 Mitglieder31. In Freiburg waren es im WS 1930/31 30, womit er hier deutlich über dem Mitgliederdurchschnitt von 20 Studenten pro Verbindung liegt und an Personenstärke auch die anderen politischen Hochschulgruppen übertrifft (insgesamt 65 in rechten Gruppierungen gegen 70 in Gruppierungen der Mitte und Linken - 135 politisch organisierte Studenten, 1100 Korporierte)32.


Personell war der NSDStB selbst also ein starker aber nicht übermächtiger Verband, der seinen Erfolg jedoch der wachsenden Sympathie bis aktiver Unterstützung durch Kooperation eben auch vieler Korporierter verdankt. Den oben genannten Formen dieser Kooperation ist ein meinungsbildender Charakter insbesondere in der Studentenschaft zu attestieren. Dass diese Meinungsbildung auch in der Gesamtbevölkerung stattfand mag Hitler richtig vermutet haben („Nichts gibt mir mehr Glauben an die Richtigkeit unserer Idee als die Siege des Nationalsozialismus auf der Hochschule“33).


Mit dem Erreichen der Mehrheit des NSDStB in der DSt kommt es immer wieder zu Eklats und Konflikten zwischen dem NSDStB und den Korporationsverbänden. Im Wesentlichen geht es hier um den Alleinvertreteranspruch und das machtpolitisch orientierte Auftreten der NS-Studentenorganisation, welches die Korporationen nicht anerkennen wollen. Die nationalsozialistische Ideologie und Politik an sich wird aber - insbesondere von den völkischen Verbänden - nicht in Frage gestellt: Die DB verkündet 1932, dass sie den NSDStB „mit seiner gegenwärtigen Betätigung und unter seiner derzeitigen Führung“34 nicht als Partner anerkennt, unterstreicht jedoch, dass sie „den Nationalsozialismus als wesentlichen Teil der völkischen Freiheitsbewegung“35 bejaht. 36


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3.3 Korporationen im „Dritten Reich“37


Die Reaktionen auf den politischen Machwechsel von 1933 sind von Seiten der Korporationen oft sehr euphorisch. Der Akademische Turnerbund (ATB) gelobt „dem neuen Führer“ Treue bis in den Tod und fordert seine Mitgliederverbindungen zum geschlossenen Eintritt in den NSDStB auf. Der VVDSt gibt sich den neuen Wahlspruch „Mit Gott für Hitler und deutschen nationalen Sozialismus“, die DB feiert Siegesfeiern der „nationalen Erhebung“38 und auch die bislang offiziell betont parteipolitisch neutralen Corps des KSC verkünden eine „Huldigung“ an die neuen Machthaber.


Nicht so stürmisch reagieren die katholischen Verbände. Sie hatten sich noch 1932 - entsprechend den Erklärungen der Bischöfe - von den Nationalsozialisten distanziert (z.B. Unvereinbarkeit der Mitgliedschaft in der NSDAP für CVer39, eine solche Bestimmung gab es auch im KV). Als die deutschen Bischöfe Ende März ihre früheren Verbote und Warnungen gegen den Nationalsozialismus zurücknehmen, fallen sehr bald auch die entsprechenden Verbote der beiden Verbände. Diese Reaktion betrachteten die Nationalsozialisten nicht ganz zu Unrecht mit Misstrauen: der Richtungswechsel war mehr der opportunistische Versuch sich zu retten; auch wurden die Loyalitätsbekundungen der studentischen Mitglieder den neuen Machthabern gegenüber von den Altherrenschaften nicht mehrheitlich unterstützt.


Aller Anbiederungen der Verbände zum Trotz werden von den Nationalsozialisten im Juni 1933 „Richtlinien über den Neuaufbau der studentischen Verbände“ erlassen, die die Einrichtung des „Führerprinzips“ und die Besetzung der Führungsposten mit erprobten Nationalsozialisten sowie den Ausschluss von Nicht-Ariern und Freimaurern fordern. Die neuen Führer wurden oft von außen bestimmt.

Insbesondere unter den Verbänden setzt ein wahrer Wettstreit ein, welcher nationalsozialistischer ist als die anderen, Corps und katholische Verbände sind hier zurückhaltender. Die DB tut sich auf dieser Arena immer wieder besonders hervor, erhofft sich „in Zukunft innerhalb der Hochschule die gleiche Stellung und Haltung“ einzunehmen, „wie etwa die NSDAP im Staat“40.


Trotz der eigentlichen Ablehnung der Nationalsozialisten gegenüber den Verbindungen, wird diesen zunächst noch teilweise entgegengekommen. So wurde beispielsweise im Mai 1933 die Schlägermensur per Gesetz für straffrei erklärt. Es ist nicht klar erkennbar, ob dies reine Taktik war oder ob eine Zerschlagung der Korporationen ursprünglich nicht geplant war. Grüttner zitiert einen Hochschulgruppenführer (1932) und leitet daraus ab, dass die Vernichtung des Korporationswesens für viele führende Nationalsozialisten lange unvorstellbar gewesen sei:

„Die Verbindungen können wir nicht zerschlagen. Ganz abgesehen, daß dadurch immerhin große Werte für die deutsche Jugend verloren gingen, würde dadurch auch der einzige feste Faktor, auf den sich eine Politik stützen kann, zerschlagen.“41

Daraus leitet sich jedoch auch ab, dass einige sich das durchaus vorstellen konnten, was bei den polykratischen Strukturen des NS-Systems auch nicht weiter verwundern würde.


Im Wintersemester 1933/34 werden auf Verbindungshäusern Wohnkameradschaften eingerichtet, die Korporationen sollen langfristig in „politische Erziehungszellen“ überführt werden.


Im Herbst 1933 unterstreicht der Reichsinnenminister, dass der Fortbestand der Korporationen gesichert sei. Vereinzelt werden dennoch aus verschiedenen Anlässen von untergeordneten NS-Führern Verbindungen suspendiert. Zu diesem Zeitpunkt werden diese Verbote jedoch nach Protest immer wieder zurückgenommen, mit personellen Konsequenzen für den Entscheidungsträger, mit auch weil Alte Herren in Ministerien noch entsprechenden Einfluss haben. Die Angst der Verbindungen um ihre Existenz wird dadurch ebenso genährt wie ihre Anpassungspolitik.


Die mit besonderem Misstrauen betrachteten katholischen Verbände wurden im Januar 1934 erfolgreich dazu gedrängt, ihr „Katholizitätsprinzip“ aufzugeben, welches die Aufnahme von Nicht-Katholiken verhinderte.

Im Juni 1934 verschärft sich der Wind gegen die Korporationen mit einer massiven Kampagne der HJ gegen Verbindungsstudenten, der NSDStB schließt sich an, ein SA-Blatt verkündet, es sei „Hochverrat am deutschen Volke“, wenn man studentische Verbindungen am Leben erhalten wolle.42


Mit der Gründung der Gemeinschaft studentischer Verbände (GStV) Anfang 1935, die vom NSDStB als Gesamtvertretung der studentischen Korporationsverbände anerkannt wurde (nicht ohne Widerstand im NSDStB, dennoch verpflichteten sich beide Seiten gegenseitige „Unstimmigkeiten“ in Zukunft zu vermeiden) erhofften sich viele studentische Verbände einen Modus vivendi zwischen ihnen und dem NSDStB gefunden zu haben, dessen Angriffe gegen das Korporationswesen gingen jedoch unvermindert weiter. In der NS-Presse wird eine Kampagne gegen die Studentenverbindungen gestartet und bald darauf erklärt der NSDStB seinen alleinigen Anspruch auf die jungen Studenten: Die im WS 1935/36 neuimmatrikulierten Studenten werden vor die Wahl gestellt, in eine NSDStB-Kameradschaft oder eine Korporation einzutreten. Der KSCV hatte sich bereits im September aufgelöst, die meisten anderen Verbände folgen im Oktober. Die meisten Verbindungen verweigern den Anschluss an den NSDStB, von den 210 DB-Burschenschaften übergeben etwa 12043 ihre Fahnen an die NS-Studentenorganisation. Einige wenige Verbindungen versuchen den Verbindungsbetrieb aufrecht zu erhalten.

Der NSDStB erfuhr nicht den erwarteten Zustrom von Studenten, es kam sogar zu einem kurzen Aufflackern der verbliebenen Korporationen. Es folgte ein Verbot von Doppelmitgliedschaften in NSDStB und Verbindungen, im Mai 1936 erging von Heß das Verbot der Mitgliedschaft in Korporationen für Parteiangehörige und Angehörige von NS-Organisationen. Die meisten verbliebenden Verbindungen suspendierten sich daraufhin (die Altherrenschaften blieben in der Regel bestehen).


Der scheinbare Sieg des NSDStB erwies sich bald als fragwürdig: die Zerschlagung der Korporationen hatte seinem Ansehen stark geschadet, neue Mitglieder bekam er wenige und die aus Verbindungen übernommenen Mitglieder waren oft nicht bereit, politisch mitzuarbeiten. Obwohl seine Politik gescheitert war, zettelte der ehrgeizige Führer des NSDStB Derichsweiler nun auch noch einen Konflikt mit der seit 1934 faktisch entmachteten DSt an, woraufhin er Anfang November durch das Reichserziehungsministerium von seinem Posten enthoben wurde.


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4. Schlussfolgerungen


Die eingangs gestellte Frage nach der Rolle der Korporationen bei der nationalsozialistischen Machtergreifung an den Hochschulen lässt sich nicht pauschal beantworten, auch da sich die Literatur nur auf etwa 10 von fast 40 damals bestehenden Dachverbänden konzentriert - allerdings „beherbergten“ diese 10 Organisationen weit mehr als die Hälfte der Verbindungsstudenten.


Unbestreitbar ist, dass abgesehen von Einzelpersonen, keine Korporation oder Verband dauerhaft in deutlich artikulierte Opposition gegen die Entwicklungen der Zeit in Erscheinung trat. Viele Politiker der Weimarer Republik waren ehemalige Verbindungsstudenten - was beim hohen korporationsgrad der Studentenschaft im Kaiserreich auch nicht weiter erstaunt. Als prominenter Vertreter sei Gustav Stresemann genannt, dessen Politik bei „seinem“ Dachverband, der DB, keine große Unterstützung fand. Im Gegenteil: er setzte den Young-Plan durch, die DB war dem Reichsausschuss für das Volksbegehren zur Ablehnung des Young-Planes beigetreten. Auch können viele Verbindungen auf KZ-Opfer aus ihren Reihen verweisen, was nicht beschönigt, dass offener politischer Widerstand - von den Korporationen selbst ausgehend - nicht dokumentiert ist.

Immerhin belegen diese Einzelpersonen, dass Verbindungsstudenten nicht eine amorphe Masse gleichdenkender Personen sind. Nazi-Größen mit korporierter Vergangenheit lassen sich aber ebenso wenig als Parade-Korporierte präsentieren.


Mit Bestimmtheit lassen sich zwei große Richtungen festmachen: Zum einen die völkisch eingestellten Dachverbände, die wahrlich als aktive Wegbereiter für die Machtergreifung betrachtet werden können. Dies gilt insbesondere für die DB und den VVDSt. Als Ursachen erscheinen hier nicht nur politische und ideologische Beweggründe, sondern auch Konkurrenzen unter den einzelnen Verbänden, wie das Paktieren vor aber auch nach der Machtergreifung belegt.

Die Rolle der anderen großen Fraktion, der katholischen Verbände, ist zumindest aus heutiger Sicht nicht minder folgenschwer: man kann sie zwar als republikfreundlich bezeichnen (offene Unterstützung des Zentrums), aber auch hier zeigen sich großdeutsche Ansätze und konfessioneller Antisemitismus, die reelles Engagement verhinderten. Ihr „Umfallen“ nach der Machtergreifung, sich selbst an die Entscheidung der Bischöfe bindend, zeugt von einem Opportunismus, der im Angesicht des Zeitgeschehens immerhin verständlich ist. Salopp ausgedrückt haben sie sich nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Man kann unterstellen, dass die katholischen Verbände ein politisches Gegengewicht hätten stellen können, auch durch ihre personelle Stärke. Über dessen mögliche Auswirkung lassen sich freilich nur Vermutungen anstellen.


Die Auflösungen der studentischen Verbände werden von diesen selbst oft als „Verbot“ dargestellt. Meist kommt dies der Wahrheit recht nahe, da sie von den Nationalsozialisten in diese Position gedrängt wurden. Die katholischen Restverbände (Altherrenschaften) wurden auch tatsächlich 1938 per Himmler-Erlass verboten, die aktiven Verbindungen - die Studenten - hatten sich jedoch fast alle nach 1935 selbst aufgelöst. Eine gern in Anspruch genommene Opferrolle kann aufgrund der Vorgeschichte so nicht pauschal attestiert werden, insbesondere nicht den aktiven Promotoren des Nationalsozialismus an den Hochschulen.


Zur Eingangsfrage zurückkehrend kann abschließend festgestellt werden, dass die verschiedenen Dachverbände den Weg zur Machtergreifung der Nationalsozialisten an den Hochschulen hauptsächlich auf drei verschiedene Arten geebnet haben:



Freiburg, den 2. Mai 2000

Jean-Christophe Haimb

Letzte Änderung dieser HTML-Version: 11.05.2000

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5. Literaturverzeichnis



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Heither, D., Gehler, M., Kurth, A., Schäfer, G.: Blut und Paukboden, Frankfurt/M., Fischer Taschenbuch Verlag, 1997 [UB: GE 97/4625]


Jarausch, K. H.: Deutsche Studenten 1800 - 1970, Frankfurt/M., Suhr­kamp, 1984


Kreutzberger, W.: Studenten und Politik 1918 - 1935, Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultäten der Albert-Ludwigs-Universität zu Freiburg i. Br., Göttingen, 1972 [UB: GE 72/6683]


Seggern, H. v. in: Haberkorn, P. F., Stillfeld, I. Frhr. v., Baumeister, J. (Hrsg.): Das SV Handbuch, Sondershäuser Verband Akademisch-Musikalischer Verbindungen, 1997 [http://cousin.stud.uni-karlsruhe.de/cousin/allgemein/geschichte/svhand.html]


Schwarz, J.: Studenten in der Weimarer Republik, Berlin, Dunker & Humblot, 1971 [UB: GE 72/712]


Steinberg, M. S.: Sabers and brown shirts, Chicago, The University of Chicago Press, 1977 [UB: GE 78/8244]


Stitz, Dr. P., Der CV 1919-1938 in: Der weiße Trum, 4. Band, Gesellschaft für Studentengeschichte und studentisches Brauchtum, München 1970


Weber, R. G. S.: Die deutschen Corps im Dritten Reich, Köln, SH-Verlag, 1998 [UB: GE 99/91]



1 Steinberg, M. S., S. 171

2 Grüttner, M., S. 287

3 nach Seggern, H. v.

4 Schäfer, G., in: Heither, D., Gehler, M., Kurth, A., Schäfer, G.,: Blut und Paukboden, Fischer Taschenbuch, Frankfurt 1997, S. 27

5 zitiert nach Schäfer, G., in: Blut und Paukboden, S. 27

6 Schäfer, G., in: Blut und Paukboden,S. 27

7 Schäfer, G., in: Blut und Paukboden, S. 45f.

8 Schäfer, G., in: Blut und Paukboden, S. 50 vs. Seggern

9 zitiert nach Schäfer, G., in: Blut und Paukboden, S. 50

10 zitiert nach Schäfer, G. in: Blut und Paukboden, S. 51

11 Heither, D., Kurth, A., in: Blut und Paukboden, S. 54

12 Heither, D., Kurth, A., in: Blut und Paukboden, S. 55ff.

13 Heither, D., Kurth, A., in: Blut und Paukboden ,S. 68ff.

14 Seggern, H. v.

15 Schwarz, J., S. 106

16 Schwarz, J., S. 105ff.

17 Heither, D., in: Blut und Paukboden, S. 80f.

18 Heither, D., in: Blut und Paukboden, S. 88ff.

19 Schwarz, J., S. 306

20 zitiert nach Heither, D., in: Blut und Paukboden, S. 95

21 Seggern, H. v.

22 Jarausch, K.H., S. 156f.

23 Heither, D., in: Blut und Paukboden, S. 96ff.

24 Heither, D., in: Blut und Paukboden, S. 100

25 Schwarz, J.: S. 340f. und S. 363

26 Heither, D., in: Blut und Paukboden, S. 100

27 Kreutzberger, W.: S. 76

28 Weber, R. G. S., S. 162

29 Lodermeier, E., in einer Broschüre des CV, 1960

30 Heither, D., Lemmling, M., in: Füxe, Burschen, Alte Herren, S. 120f.

31 Jarausch, K. H., S. 156

32 Kreutzberger, W., S. 76

33 zitiert nach Heither, D., in: Blut und Paukboden, S. 100

34 zitiert nach Heither, D., in: Blut und Paukboden, S. 112

35 Ebenda

36 Heither, D., in: Blut und Paukboden, S. 100ff.

37 Grüttner, M., S. 288ff.

38 Kurth, A., in: Blut und Paukboden, S. 115

39 Heither, D., Lemling, M., in: Füxe, Burschen, Alte Herren, S. 137

40 Grüttner, M., S. 301

41 Grüttner, M., S. 294

42 Grüttner, M., S. 300f.

43 Kurth, A., in: Blut und Paukboden, S. 126

































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